Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
lasse. Cheers!« Sie stieß mit ihrer Mutter an.
»Cheers.« Naomi mußte lachen. Sie schloß die Augen und zwang sich dazu, zu entspannen. »Herrjeh, was für ein Tag!«
Die letzten zwei Stunden hatte Naomi bei ihren Anwälten verbracht, um sich zu erkundigen, wie sie die Verfügungen ihres Vaters am besten mit ihren eigenen Wünschen in Einklang bringen konnte. Sollte Milicent allerdings ihre Drohung, Kelsey zu enterben, wahrmachen, mußte sie sich weitere Schritte überlegen.
Naomi schlug die Augen wieder auf und nahm einen Schluck. »Ich war unheimlich stolz auf dich, wie du ihr entgegengetreten bist!«
»Mir ging es ebenso, als du plötzlich in der Tür standest, kamst du mir vor wie der leibhaftige Racheengel.«
»Gespräche mit Milicent haben mich immer derartig aufgeregt. Obwohl sie in einigen Punkten nicht ganz unrecht hat. Ich habe Fehler gemacht, Kelsey, schwerwiegende Fehler.«
Kelsey drehte das Glas in ihrer Hand. »Hast du Dad geliebt, als du ihn geheiratet hast?«
»Oja, sehr.« Einen Moment lang wurden Naomis Augen weich. »Er war so klug und schüchtern. Und so sexy.«
Kelsey kicherte unwillkürlich. »Dad? Sexy?«
»Dieser verträumte Dichterblick, diese ruhige, geduldige Stimme. Die Liebenswürdigkeit. Und seine Tweedjacketts. Ich habe ihn angebetet.«
»Und wann hat das aufgehört?«
»So einfach war das nicht.« Naomi stellte ihr zur Hälfte geleertes Glas ab. »Ich war nicht so geduldig wie er und auch nicht so liebenswürdig. Unsere Träume waren grundverschieden. Als die Schwierigkeiten begannen, war ich dumm genug, keinerlei Zugeständnisse zu machen, mal nachzugeben. Einer meiner Fehler war, daß ich dachte, ich könnte ihn halten, wenn ich ihm beweise, daß ich ihn nicht brauche. Also rannte ich ihm fort. Und ich verlor. Ich verlor Philip, dich und meine Freiheit. Ein sehr hoher Preis für falschen Stolz.«
Als es erneut klingelte, zog sie eine Grimasse. »Sieht aus, als ginge das jetzt so weiter.«
»Ich gehe.« Zum zweitenmal an diesem Nachmittag stand ein unwillkommener Besucher vor der Tür: Lieutenant Rossi.
»Es tut mir leid, daß ich Sie störe, Miß Byden, aber ich muß Ihnen und Ihrer Mutter noch ein paar Fragen stellen.«
»Wir sind im Wohnzimmer. Gibt es neue Ergebnisse?« erkundigte sich Kelsey, als sie vorausging.
»Die Ermittlungen laufen.«
Mit kundigem Blick überflog Rossi den gemütlichen Raum, registrierte die beiden halbleeren Whiskygläser sowie das Milchglas. Naomi erhob sich, als er eintrat. Als Mann bewunderte er ihre Anmut, als Polizist ihre Haltung.
»Lieutenant Rossi.« Obwohl ihre Haut eiskalt geworden war, reichte sie Rossi die Hand. »Setzen Sie sich doch. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«
»Danke, aber für heute ist mein Bedarf gedeckt, Miß Chadwick. Ich habe noch einige Fragen.«
»Natürlich.« Sie hatten immer noch einige Fragen. Naomi nahm wieder Platz und hielt sich so gerade wie möglich. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Sie waren mit dem Opfer gut bekannt?«
»Ich kannte Mick.« Faß dich kurz, mahnte Naomi sich. Sag nicht mehr als unbedingt notwendig.
»Die letzten fünf Jahre hat er auf Longshot gearbeitet, ist das richtig?«
»Das dürfte stimmen.«
»Er hat auch für den früheren Besitzer, Cunningham, gearbeitet?«
»Eine Zeitlang.«
»Bis er gefeuert wurde«, fuhr Rossi fort, »das war vor ungefähr sieben Jahren.«
»Bill Cunningham ließ Mick gehen, weil er ihn, wenn ich mich recht entsinne, für zu alt hielt. Daraufhin bot mein Trainer Mick einen Job hier auf der Farm an, aber Mick entschloß sich, die Gegend zu verlassen.«
»Meinen Informationen zufolge hat er während dieser zwei Jahre auf den Rennbahnen in Florida gearbeitet.«
»Gut möglich.«
»Hatte er irgendwelche Feinde?«
»Mick?« Einen Augenblick lang war sie nicht auf der Hut. Die Frage erschien ihr zu absurd. »Jeder mochte den alten Mick. Er war eine Art Institution hier, konnte hart arbeiten, hatte ein großes Herz und war ein zäher Bursche. Er hatte keine Feinde.«
»Und doch hat ihn jemand umgebracht.« Rossi hielt inne, fasziniert von Naomis Selbstbeherrschung. »Ein Pferd, dem Mick Gordon als Pfleger zugeteilt war, wurde verletzt. In meinem Bericht steht, daß das Tier eine lange, tiefe Schnittwunde an der linken Flanke aufwies. Ungefähr zwölf Zoll lang.« Er blätterte in seinem Notizbuch, als würde er die Angaben überprüfen. »Die ersten Untersuchungen haben ergeben, daß die Wunde von demselben Messer stammt, mit dem Mick Gordon
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