Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
glaube, ich wollte dich warnen.«
»Ich weiß das zu schätzen.« Gabe bewegte seine Schultern, um die verspannte Muskulatur zu lockern. Kelsey, die in ihrer verschmutzten Arbeitskluft dastand und ihn mitleidig betrachtete, trug allerdings schon viel zu seiner Entspannung bei. »Du siehst gut aus.«
»Ja, Schlamm steht mir.«
»Aber nur dir.« Er nahm ihre Hand und spielte mit den Fingern. »Setz dich doch eine Weile auf meinen Schoß.«
Belustigt antwortete sie: »Ist das nun der Start- oder der Zielpfosten, Slater?«
Als Antwort zog er sie nur an sich und hielt sie fest, als sie stolperte. Dann vergrub er sein Gesicht in ihrem Haar, das nach Regen und Frühling duftete. »Das brauche ich jetzt. Du mußt aber still sitzen, Kelsey.«
»Ich bin kein gemütliches Schoßhündchen.«
»Dann mußt du es lernen.« Er knabberte an ihrem Ohrläppchen und freute sich, als er merkte, wie sie erschauerte. »Bist du nur gekommen, um mich vor Rossi zu warnen?«
»Ja.«
Diesmal holte er tief Atem. »Na gut. Aber ich will dich bald hier haben. Ich fange nämlich an zu leiden.«
»Ich habe gedacht, du wärst zäher.« Kelsey legte ihren Kopf an seine Schulter. Sehr angenehm, fand sie, und sehr verlockend. »Ich mache keine Spielchen.«
»Zu schade. Normalerweise gewinne ich nämlich.«
11
»Und du willst ganz bestimmt keine Augenbinde?« Kelsey legte einen Arm um Channing, »oder eine letzte Zigarette?«
Channing nahm seine rotgerahmte Sonnenbrille ab. »Manchmal nervst du ziemlich, Kel.«
»Also wirklich, ich komme mir vor, als ob ich dich ohne seelischen Beistand zu deiner Hinrichtung schicke.«
»Mit Mom werde ich vertig«, er nahm seinen Helm vom Rücksitz der Harley, »und der Prof. ist kein Problem.«
»Und Großmutter?«
Channing schnitt eine Grimasse und stülpte den Helm auf. »An mir prallen sämtliche Giftpfeile seit Jahren ab. Und solange mein brillanter Verstand mich unter den zehn besten meiner Jahrgangsstufe hält, habe ich nichts zu befürchten.«
»Der Schutzschild der Höchstpunktzahl, verstehe.« Darauf hatte sie sich selbst auch immer verlassen. »Was ist mit den Sommerferien?«
»Mom wird sich daran gewöhnen müssen, daß ich nicht immer nur über Büchern hocken kann.«
»Mein Bruder, der Dickkopf.« Grinsend tippte sie mit den Fingern gegen seinen Helm.
»Naomi hat mir für den Sommer einen Job auf Three Willows angeboten.«
»Hier?«
»Channing Osborne, Stallbursche. Hört sich doch gut an. Außerdem mag ich sie.« Channing schwang sich auf sein Motorrad. »Weißt du, eigentlich bin ich nur vorbeigekommen, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist. Mir schwebte da so das Bild einer Schlampe vor, mit hartem Gesicht und wüstem Lebenswandel; einen Drink in der einen und eine Fünfundvierziger in der anderen Hand.«
»Gezeichnet von der allmächtigen Milicent«, bemerkte Kelsey trocken.
»Selbst Mom versucht neuerdings, Zwietracht zu säen. Jetzt bildet die ganze Familie eine geschlossene Front gegen dich. Sie sind genauso entschieden gegen deinen Aufenthalt hier, wie sie für deine Heirat mit Wade waren.«
Er drehte sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf das Haus. Mit den grünenden Weiden und dem bunten Farbengemisch der ersten Narzissen und Hyazinthen bot es ein entzückendes Bild.
»Sie ist ganz anders, als man sie darstellt, stimmt’s?«
»Das glaube ich auch«, murmelte Kelsey. »Ich bin froh, daß du gekommen bist, Channing, und sie kennengelernt hast.«
»Mann, das waren die tollsten Ferien überhaupt.« Channing beugte sich vor, um seiner Stiefschwester einen Abschiedskuß zu geben. »Ich komme wieder. Wir sehen uns dann in ein paar Monaten.«
»Ich . . .« Sie wollte ihm noch sagen, daß sie dann vielleicht nicht mehr hier sein würde, doch der Motor der Maschine lief bereits. Winkend brauste er die Auffahrt hinunter.
Gedankenverloren ging Kelsey zum Haus zurück. Hatte sie sich innerlich bereits zum Bleiben entschieden? Der Monat, den sie mit Naomi locker abgemacht hatte, war nahezu um. Trotzdem hatte keine von ihnen über die Möglichkeit einer Abreise gesprochen.
Und was erwartete sie zu Hause in Maryland, in ihrem gepflegten Apartment? Vorstellungsgespräche, um einen neuen Job zu finden, einsame Mahlzeiten und ab und zu ein gemeinsamer Lunch mit einer Freundin, die sich mitfühlend über ihre Scheidung zeigte, um dann beiläufig zu erwähnen, daß ein Bekannter von ihr auch gerade solo war. Wenn sie wollte . . .
Der Gedanke war schon mehr als
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