Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
unbewegt, doch seine Augen wurden eiskalt. »Nun, Fred, du willst mir doch wohl nicht die Pistole auf die Brust setzen?«
Die Verzweiflung trieb Lipsky den kalten Schweiß aus allen Poren. »Ich laß’ mir nicht den Schwarzen Peter zuschieben. Wenn ich abhauen soll, brauche ich Geld. Scheiße, Rich, ich hab’ schließlich für dich gearbeitet. Du hängst da genauso mit drin.«
»So siehst du das also?«
»Ich weiß, daß ich zehntausend Mäuse brauche, um unterzutauchen und die Schnauze zu halten, falls die Polizei mich kriegt. Das ist ja wohl nicht zuviel verlangt, Rich.«
Rich seufzte. So etwas hatte er kommen sehen. »Ich verstehe dich ja, Fred. Ehrlich. Hör zu, ich telefoniere jetzt erst mal und sehe, was sich machen läßt.« Er unterstrich sein aufmunterndes Lächeln durch einen weiteren Klaps auf Lipskys Schulter. »Laß mich mal fünf Minuten allein, ja?«
»Okay. Ich muß sowieso pinkeln.« Lipsky stand auf und torkelte ins Bad.
Rich griff nicht zum Telefon, sondern zog statt dessen eine kleine Ampulle aus seiner Manteltasche. Es war wirklich eine Schande, daß er es sich nicht leisten konnte, auf Lipskys Forderungen einzugehen. Aber selbst wenn er zahlte, würde der Mann singen wie ein Kanarienvogel, sobald die Polizei ihn festnagelte. Das war so sicher wie das Amen in der Kirche, dachte Rich bedauernd, als er die Flüssigkeit in Lipskys Glas schüttete.
»Komm, Fred. Alles geregelt.« Er setzte ein strahlendes Lächeln auf, als Lipsky zurück ins Zimmer schwankte. »Morgen kriegst du dein Geld.«
Erleichtert ließ Lipsky sich auf seinen Stuhl fallen. »Ohne Scheiß, Rich?«
»Sind wir alte Kumpel oder nicht? Typen wie wir halten zusammen.« Er erhob sein Glas. »Auf die alte Freundschaft.«
»Ja.« Vor Dankbarkeit den Tränen nahe hob Lipsky sein Glas an die Lippen. »Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann.«
»Hm!« Richs Lächeln wurde böse, als er zusah, wie Lipsky sich buchstäblich zu Tode trank. »Du kannst dich immer auf mich verlassen, Fred.«
Palmen und gestreifte Markisen, strahlender Sonnenschein und üppig blühende Bougainvillea. Männer in weißen Anzügen und Frauen in knappen Sommerkleidern. Das war der perfekte Hintergrund für das große Rennen, das war Hialeah, wo das Rennen stattfand.
In den nahe dem Golfstrom gelegenen Ställen standen die Pferde in ihren Boxen, schnaubten und sogen die Luft ein; Athleten, bereit, sich im Wettkampf zu messen.
Die Atmosphäre war ähnlich wie in Charles Town; Verkäufer riefen die Daily Racing Form aus, Buchmacher boten ihre Dienste an, Trainer diskutierten aufgeregt über die Zeiten der Probeläufe. Doch durch das herrliche Wetter hatte diese Veranstaltung eine ganz andere Atmosphäre als die in West-Virginia mit kühler Frühlingsluft.
Kelsey beobachtete amüsiert eine Frau, die auf hohen Pfennigabsätzen einherstakste, und eine junge Stute am Zügel führte. Ihre schulterlangen Straßohrringe glitzerten in der Sonne.
»Wer das sieht, nennt kein Pferd mehr dumm.«
Kelsey blickte zu Gabe auf. »Bitte?«
»Was siehst du, wenn du sie anschaust?«
»Die Stute oder die Frau?«
»Die Stute.«
Gehorsam musterte Kelsey das Pferd, das mit gesenktem Kopf hinter der Frau hertrottete. »Verlegenheit.«
»Korrekt. Das ist Cunninghams Neuerwerbung.«
»Pferd oder Frau?«
»Beide.«
Kelsey lachte schallend. Sie war so froh, daß sie mitgekommen war. Vielleicht lag das an dem schönen Wetter, vielleicht aber auch an dem guten Gefühl, Mitglied einer verschworenen Gesellschaft zu sein.
»Ich hab’ schon gehört, daß du auch hier bist, aber ich habe dich beim Training nicht gesehen.«
»Bin erst vor einer Stunde gekommen«, erklärte ihr Gabe. »Wie gefällt dir Miami?«
»Tja, einige der Pfleger haben sich heute morgen beschwert, daß sie nicht schlafen konnten – ein paar Idioten haben offenbar in der Gegend herumgeballert –, und als ich gestern am Strand war, ist mir schmerzlich zu Bewußtsein gekommen, daß ich wohl langsam alt werde, denn ich hatte nicht die geringste Lust, Rollerblades auszuprobieren. Davon mal abgesehen . . .«, sie holte tief Luft, ». . . gefällt es mir hier. Eine wunderschöne Anlage.«
»Echte Insider hegen nicht das geringste Interesse für die Welt außerhalb von Hialeah Park.«
»Ich schon.«
»Du bist ja auch kein Insider«, er blickte auf sie hinunter, »jedenfalls noch nicht.«
Kelsey verzog das Gesicht. Sollte sie die Bemerkung als Kompliment oder als Beleidigung auffassen?
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