Schatten über den Weiden: Roman (German Edition)
Sie entschied sich, das Thema nicht weiter zu verfolgen, und konzentrierte sich auf die Verlierer des ersten Rennens, die gerade zu den Ställen geführt wurden. Die Sieger, das wußte sie, kamen zuerst zum »Spucknapf«, wo ihnen Urin- und Speichelproben entnommen und auf Dopingmittel untersucht wurden.
Kelseys Herz blutete, als sie die Verlierer sah, die schwitzend und schlammbespritzt in ihre Boxen gebracht wurden. Wenn sich ein Pferd schon schämen konnte, von einer aufgetakelten Barbiepuppe geführt zu werden, wie sehr mußte es dann erst darunter leiden, wenn es versagte.
»Traurig, nicht wahr?« murmelte sie. »Wie Soldaten, die von der Front zurückkehren. Dieser ganze Aufwand, und in ein paar Minuten ist alles vorbei.«
»Aber die Minuten haben’s in sich. Schade, daß du das Florida-Derby verpaßt hast. Da war vielleicht was los! Eine Supershow mit Akrobaten und einem Kamelrennen.«
»Kamele? Wirklich?«
»Wette bloß nie auf ein Kamel.«
Langsam schlenderten sie an den Sattelkammern vorbei. Das zweite Rennen würde gleich beginnen, und Pride war für das dritte gemeldet. Sie wollte Reno noch erwischen, ehe Moses ihn aufs Pferd hob, da sie es sich – beinahe abergläubisch – zur Gewohnheit gemacht hatte, ihm noch Glück zu wünschen, bevor er sein Pferd zur Startbox brachte.
»Gehst du heute nicht zum Wettschalter?« erkundigte sich Gabe.
»Nee. Ich hab’ meine Favoriten schon ausgeguckt, Pride im dritten und Three Aces im fünften.« Sie blieb stehen, um bei einem alten Schwarzen eine lauwarme
Pepsi zu kaufen. »Ich habe mein eigenes System entwikkelt.«
Gabe nahm ihr die Dose aus der Hand, trank einen Schluck und gab sie ihr zurück. »Und wie sieht das aus?«
»Ich verlasse mich auf mein Gefühl.«
»Dabei kannst du aber arm werden.«
Kelsey zuckte die Achseln. »Das Risiko ist es ja gerade, das mich reizt.«
»Verdammt richtig. Komm her.« Sie waren fast am Sattelplatz, wo der Betrieb schon in vollem Gange war.
»Am besten, du denkst gar nicht drüber nach, Slater.« Doch er hatte sie bereits am Pferdeschwanz, der unter ihrer Kappe hervorlugte, erwischt.
»Ich will dich ja nur küssen. Das Risiko ist auf beiden Seiten.«
Ehe die Welt um sie herum versank, meinte Kelsey noch, einige der Pfleger dröhnend lachen zu hören. Sie hatte sich insgeheim schon gefragt, ob jener erste und einzige Kuß nur ein Zufall gewesen war, eine einmalige Erfahrung.
Jetzt wurde sie eines Besseren belehrt.
Sein Mund war unwiderstehlich. Bereitwillig reagierte sie auf seinen Kuß, drückte sich an ihn, wollte mit ihm verschmelzen. Leise stöhnend griff sie in sein dichtes Haar und hielt ihn fest, bis alles um sie wie in einem Nebel verschwamm.
Ich will, war alles, was er denken konnte. Die meiste Zeit seines Lebens hatte er irgend etwas gewollt – eine anständige Mahlzeit, ein sauberes Bett, ein Leben ohne Furcht. Seine Wünsche waren im Lauf der Zeit gewachsen. Später dann wollte er Frauen und Macht – und das Geld, mit dem er sich beides leisten konnte.
Doch noch nie hatte er sich so verzweifelt nach etwas gesehnt, wie er es jetzt nach Kelsey tat. Eine Frau. Eine Nacht. Er würde für eine Nacht mit ihr alles, was er besaß, aufs Spiel setzen.
»Wie lange soll ich noch warten?« flüsterte er an ihren Lippen.
»Ich weiß es nicht«, Kelsey rang nach Atem. »Ich kenne dich doch gar nicht.«
»Doch, das tust du.«
»Vor einigen Monaten wußte ich noch gar nicht, daß es dich überhaupt gibt.« Sie löste sich von ihm und wunderte sich, daß ihre Beine nicht nachgaben. »Ich bin nicht . . .« Als sie mit zitternden Händen ihre Kappe zurechtrückte, hörte sie, wie hinter ihnen Beifall geklatscht wurde. »Wir reden später darüber. Ohne Publikum.«
»Gut.« Er fuhr mit den Fingerspitzen über ihre Wange. »Ein bißchen habe ich ja schon erreicht. Man erzählt sich nämlich, daß du unnahbar bist.«
»Daß ich . . .« Kelsey knirschte mit den Zähnen. »Also deswegen! Du wolltest damit deinem Ego schmeicheln!«
»Nein. Das war ganz persönlich, Kelsey. Aber es hat funktioniert.«
Wütend trat sie gegen die Dose, die sie bei seinem Kuß fallen gelassen hatte. »Idiot«, murmelte sie, drehte sich auf dem Absatz um und prallte beinahe mit Naomi zusammen.
»Das ist schon sehr komisch«, sagte sie, während Kelsey noch nach Worten rang, »wenn man das beobachtet. Der Vergleich ist vielleicht schlecht gewählt, aber genauso empfinde ich oft, wenn eines meiner Pferde zur Bahn geführt wird.
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