Schatten über Sanssouci
gemeint?
»Brede, Brede«,
wiederholte La Mettrie, den Kopf auf der Lehne und das Gesicht zur Decke
gewandt. Er verdrehte die Augen.
»Haben Sie
Schmerzen?«, fragte Quantz.
»Brede. Das ist doch
der Mann, der Sie in der Nacht hinauf nach Bornstedt gefahren hat? Als Sie die
angebliche Leiche von Andreas fanden? Der Kutscher, der immer zwischen Berlin
und Potsdam unterwegs ist?« La Mettrie begann zu lachen, als ob die Neuigkeit
etwas zutiefst Komisches wäre. »Brede«, sagte er prustend und schüttelte dabei
den Kopf.
»Ich weiß nicht, was
es da zu lachen gibt«, sagte Quantz.
»Oh, lieber Maître
de Musique. Irgendwer muss doch die Soldaten aus der Stadt bringen. Irgendwer
muss Kontakt nach Berlin halten. Und da es noch keine regelmäßige
Kutschenverbindung gibt … Der König will ja demnächst eine einrichten,
aber so schnell geht das nicht. Ach, Brede …« Als sei das ein beruhigendes
Ergebnis einer langen, schwierigen Arbeit, schloss La Mettrie die Augen. Sein
Gesicht war weiß wie Kalk.
Quantz starrte eine
Weile auf das Blatt mit dem Alphabet. Hatte er das wirklich richtig entziffert?
Vielleicht hatte er sich geirrt. Vielleicht stimmte die Zuordnung der
Buchstaben zu den Notenpaaren nicht. Vielleicht war die Reihenfolge beim Öffnen
des gefalteten Zettels durcheinandergeraten.
Brede … Der
Kutscher wohnte in der Nähe der Heiliggeistkirche. Man konnte mit ihm sprechen.
»Monsieur?«, fragte
Quantz und wandte sich zum Sessel um. »Wir sollten Herrn Brede einen Besuch
abstatten.«
La Mettrie, der
immer noch die Augen geschlossen hatte, gab leise Schnarchgeräusche von sich.
Quantz sah nach
Sophie. Auch sie schlief, ebenfalls vom Opium betäubt. Dann verließ er das Haus
und eilte den Kanal hinunter.
Als er den Turm
der Heiliggeistkirche aufragen sah, wurde es etwas stiller in den Gassen. Nur
ein paar Frauen saßen, mit Näharbeiten beschäftigt, in den Eingängen der
kleinen Häuschen und sahen ihn neugierig an.
Es roch nach Teer
und dem vermodernden Holz alter, trocken liegender Kähne. Die Fischer waren
draußen auf der Havel. Von dem Fluss war wenig zu sehen. Die Akzisemauer, etwa
zwei Mannslängen hoch und mit einem Ziegeldach gekrönt, versperrte die Sicht.
Auf der Havelinsel war darüber hinaus eine Holzpalisade errichtet worden, an
der Wachen patrouillierten.
Quantz ging am
Kirchenschiff entlang, bis er an Bredes Remise ankam. Hinter dem geschlossenen
Tor schnaubten die Pferde. Auf die Hauswand darüber hatte der Kutscher seinen
Nachnamen hinmalen lassen.
Vielleicht hatte
Andreas mit seiner Botschaft gar nicht den Namen selbst mitteilen wollen,
sondern er hatte das Haus gemeint, das in gewissem Sinne diesen Namen trug? Er
hatte also nicht den Kutscher, sondern das Gebäude gemeint. War Andreas gar
hier?
»Der Herr
Kammermusikus. Wenn das keine Überraschung ist!«
Professor Sartorius
war so lautlos herangetreten, dass Quantz vor Schreck zusammenfuhr. Neulich
hatte Quantz ihn schon einmal hier getroffen und war mit genau denselben Worten
begrüßt worden.
Sartorius hatte ihm
noch gefehlt! Quantz konnte jetzt in seinen Überlegungen keine Vorlesungen über
die Geschichte von Potsdam gebrauchen. Trotzdem gebot es die Höflichkeit, dass
er ein wenig plauderte.
»Ich sehe«, sagte
er, »Sie gehen immer noch Ihrer Passion nach, die Gegend zu erkunden.«
Der Professor strich
sich durch seinen eisgrauen Bürstenbart. »Erkunden ist nicht das richtige Wort,
Herr Kammermusiker. Ich sammle. Das ist der richtige Ausdruck. Ich sammle
wertvolle Informationen. Haben Sie einmal über die Idee nachgedacht, über die
wir beim letzten Mal gesprochen haben?«
»Ich bin noch nicht
dazu gekommen, es tut mir leid«, sagte er, während er sich zu erinnern
versuchte, was der Professor meinte. Es hatte mit Griechenland und der Musik
der Antike zu tun …
Sartorius hielt ihn
am Arm fest. »Aber die Musik des Orpheus zu finden, sollte Ihnen doch ein
Anliegen sein. Denken Sie nur, welche Furore wir damit machen könnten. Und die
Trompeten von Jericho …«
»Ich werde darüber
nachdenken. Wenn Sie mich entschuldigen wollen. Ich muss zu Herrn Brede, einige
Dinge besprechen. Wegen Fahrten nach Berlin …«
»Wenn Sie wieder
einmal dort sind, besuchen Sie mich. Ich kehre morgen nach Berlin zurück.«
Quantz
verabschiedete sich eilig, und der Professor entfernte sich in Richtung
Kirchenportal. Als Quantz allein war, klopfte er bei Brede, doch niemand
öffnete.
Merkwürdig. In
solchen Geschäften war
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