Schatten über Sanssouci
die unter der Erde liegen, überdauern die Zeiten
bekanntlich viel länger. Und einiges gerät dabei in Vergessenheit, das später
wiederentdeckt werden muss. Welche Spuren haben unsere Vorfahren in unserer
Stadt hinterlassen? Was kann man davon noch finden? Ich bin sicher, dass ich
den König für dieses Thema ebenfalls zu begeistern vermag. Der Herr Kammerherr
hat mir zugesagt, bei Seiner Majestät für ein offenes Ohr zu sorgen.«
»Natürlich nur«,
sagte La Mettrie, »wenn ich verstanden habe, worin die besondere Bedeutung
dieser Dinge liegt. Seine Majestät ist bekanntlich schnell mit dem Vorwurf der
Geld- und Zeitverschwendung bei der Hand. Und wenn er einen Grund sieht, dieses
Argument ein einziges Mal anzubringen, kann man ihn schwer umstimmen.«
Sartorius setzte die
Tasche, die er in der Hand gehalten hatte, auf der nächsten Kirchenbank ab und
entnahm ihr einige Papiere. »Ich habe schon einiges untersucht und meine
Erkenntnisse in Zeichnungen festgehalten«, sagte er.
Es fehlte ihm die
Fläche, um die Blätter auszubreiten. So legte er sie über die Bänke. Man konnte
gut erkennen, was er gezeichnet hatte. Im Zentrum des größten Papiers war der
Grundriss der Heiliggeistkirche zu sehen. Linien verdeutlichten das befestigte
Ufer der Havel, außerdem die Straßen mit der Häuserfront. Ein gerader Strich
stellte die Akzisemauer dar, die an der Fischergasse die Stadt zur Havel hin begrenzte.
»Ich weiß nicht, ob
es Ihnen bekannt ist«, sagte Sartorius, »aber schon beim Bau der Kirche vor
über zwanzig Jahren entdeckte man alte Fundamente und Reste von Gängen, deren
Ursprung man sich nicht erklären konnte. Leider beachtete man diese Dinge nicht
weiter, und ich habe sie auch nicht mit eigenen Augen sehen können. Aber ich
habe mit einigen Bauleuten von damals gesprochen. Die Fundamente, die man
freilegte, waren gemauert, sehr solide, und die Gänge waren zum Teil
mannshoch.«
»Gibt es diese Fundamente
noch?«, fragte Quantz.
»Leider, Herr
Quantz, leider nicht. Man hat damals einfach den Wert einer Forschungsrichtung,
wie sie mir vorschwebt, nicht erkannt. Das Alte erkunden, bewahren, daraus
Erkenntnisse ziehen … Sie können sich vorstellen, was unser alter König,
der stets nur auf das vordergründig Nützliche bedacht war, darüber gedacht
hätte. Für ihn wäre es vollkommene Verschwendung gewesen. Und so sind alle
Reste dieser uralten Siedlung in die Fundamente der neuen Kirche aufgegangen.
Man müsste das Gotteshaus abreißen, um sie wiederzufinden. Das ist natürlich
unmöglich. Ich habe jedoch vor, an anderer Stelle Grabungen zu unternehmen, um
vielleicht noch mehr zu finden. Und genau dazu brauche ich die Genehmigung des
Königs.«
»Glauben Sie denn,
dass es noch mehr unterirdische Überreste geben könnte?«, fragte Quantz.
»Ich bin kein
Hellseher, lieber Herr Kammermusiker. Ich bin Wissenschaftler. Ich muss
erforschen, was es gibt. Aber man muss mich erst einmal in die Lage versetzen,
überhaupt Forschung durchzuführen.«
»Das heißt, Sie
haben außerhalb der Kirche keinen Hinweis auf die Existenz von solchen
unterirdischen Bauresten gefunden?«
»Nein. Es ist eine
bloße Theorie.«
Quantz betrachtete
die Skizzen des Professors. So weit das in der Dämmerung zu erkennen war, hatte
er mit roter Tinte einige zusätzliche Linien auf den Plan gemalt. Daneben waren
Namen vermerkt. Wahrscheinlich waren das die Bauleute, die Sartorius befragt
hatte. Die Skizze war also ein gezeichnetes Protokoll. Sie enthielt den Verlauf
der alten unterirdischen Gänge, wie man sich an ihn erinnert hatte.
Quantz starrte auf
das Blatt. Und schlagartig kam ihm ein Gedanke. Plötzlich wusste er, warum La
Mettrie das Gespräch mit Sartorius gesucht hatte. Ganz sicher ahnte der
Professor nichts davon. Er wollte nur Unterstützung für seine Forschungsidee.
Es galt also, vorsichtig vorzugehen.
»Die alten
Fundamente liegen doch sicher teilweise unter Wasser?«, fragte Quantz. »Auf
jeden Fall sind sie nicht besonders tief. Potsdam ist ein Sumpfland. Man hat
bei Neubauten immer wieder mit dem hohen Grundwasserspiegel zu kämpfen gehabt.«
»Dieser Frage muss
ich noch nachgehen«, sagte der Professor. »Meiner Meinung nach könnte es
nämlich sein, dass das Wasser der Havel in den Jahrhunderten nicht immer
dieselbe Höhe hatte. Wir stehen in dieser Forschung noch ganz am Anfang.
Jedenfalls ist davon auszugehen, dass sich die Erde in der langen Zeit von der
Schöpfung bis heute ohnehin immer wieder
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