Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schatten über Sanssouci

Schatten über Sanssouci

Titel: Schatten über Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Buslau
Vom Netzwerk:
Schließlich erhob er sich ächzend. Seine weißen Hosen hatten gelitten.
Auf dem einen Knie waren braune Schmutzflecken. Doch La Mettrie schien das
nicht im Geringsten zu stören. Er hielt etwas Weiß-Rotes in der Hand. Quantz
dachte zuerst, es sei ein kleiner Ball – etwas größer als eine Billardkugel.
Doch das Ding war weich, offensichtlich aus Wolle.
    »Wissen Sie, was das
ist?«, fragte der Franzose.
    »Sicher. Es ist der
Teil einer Uniform.«
    »Exakt. Einer dieser
albernen Bommeln, die sich auf den Blechhüten der Soldaten befinden.« Er
betrachtete das Wollbällchen nachdenklich. »Und was sagt uns das?«, fragte er.
    »Dass ein Soldat
dieses Ding verloren hat?«
    »Sehr richtig. Aber
wann und wie ist das geschehen? Sie wissen doch, wie genau die Vorschriften
sind. Wenn einer dieser uniformierten Waffenknechte so etwas wie das hier
verliert und die Sache nicht umgehend in Ordnung bringt, setzt es schwere
Strafen. Jeden Morgen beim Appell werden die Uniformen überprüft. Man lässt
nicht die kleinste Unachtsamkeit durchgehen.«
    »Vielleicht hat ihn
einer der Grenadiere verloren, die mich von hier abgeführt haben?«
    »Hat sich denn einer
der Soldaten unter die Kutsche begeben?«, fragte La Mettrie.
    Quantz überlegte. Da
waren die beiden Männer gekommen, die er für Brüder gehalten hatte. Erst dann
waren die Grenadiere eingetreten. »Nein«, sagte er.
    »Und was kann man
also weiter schlussfolgern?« La Mettrie hielt den Bommel in der flachen Hand,
die er bis auf Gesichtshöhe angehoben hatte, und sah ihn an. »Spielen Sie ruhig
den Advocatus diaboli , lieber Maître de Musique. Das
ist mir ganz recht. Nur so halten wir nicht vorschnell die Theorie für die
Wahrheit, auf die wir durch die Darlegungen des wackeren Herrn Professors
gekommen sind.«
    »Vielleicht hat der
Bommel irgendwo in den Straßen gelegen. Und er ist mit dem Schmutz an den
Kutschen hereingekommen. An den Unterseiten der Fahrzeuge bleibt sicher eine
Menge hängen. Wollen wir nicht einfach Brede suchen, damit er uns erklärt,
warum Andreas uns auf sein Haus aufmerksam gemacht hat? Ob wir richtig liegen?
Falls Brede es überhaupt weiß. Und wie die Zusammenhänge mit den Habsburgern
sind. Wem das Haus gehört und was es mit den angeblichen Gängen unter diesem
Viertel auf sich hat? Oder glauben Sie wirklich, Andreas könnte in einem der
alten Keller sein?«
    La Mettrie starrte
immer noch den Wollball an. »Schweifen Sie nicht ab. Also: Das Ding kann nicht
mit dem Dreck von der Straße hereingekommen sein. Es ist sauber. Es ist nicht
gequetscht worden. Suchen wir weiter.«
    Neben dem Stall
führte eine Treppe nach oben – so schmal, dass kaum zwei Personen aneinander
vorbeikamen. Sie stiegen hoch und kamen an eine kleine, aber massive Holztür.
Sie war verschlossen. Dahinter lag wahrscheinlich Bredes Stube.
    La Mettrie klopfte.
»Brede?«, rief er. »Sind Sie zu Hause?«
    Hinter der Tür tat
sich nichts.
    »Wenn er nicht da
ist oder so tut, als sei er nicht da, müssen wir uns die Antworten auf unsere
Fragen selbst holen«, sagte der Franzose.
    Sie stapften wieder
die Stufen hinunter in den winzigen Flur. Hier wiederholte sich das Spiel, mit
dem sich La Mettrie schon im Stall beschäftigt hatte. Er ging in die Hocke und
untersuchte Dielenbrett um Dielenbrett den Fußboden. Schließlich hatte er sich
bis zur Rückseite der Treppe vorgearbeitet. Unter der hölzernen Schräge
zeichnete sich eine Klappe ab – kaum halb so groß wie eine normale Tür. Sie
führte wohl zu einem Stauraum, wie man ihn oft unter Treppen anlegte. Der
Franzose öffnete sie. Geräuschlos schwang sie auf. Ein schwarzes Loch gähnte
ihnen entgegen, aus dem ein Geruch nach Moder, Staub, altem Leder und Rattenkot
aufstieg.
    »Merde!« La Mettrie machte einen Schritt nach
hinten, wobei er Quantz, der sich angesichts seiner Körpergröße in der Enge
bücken musste, an die Wand drückte.
    Quantz blickte über
die Schulter des Franzosen in die verdreckte Kammer. Es war kaum zu erkennen,
was sich darin verbarg. Wahrscheinlich altes Zeug, Abfall aus der Remise.
Verschlissenes Zaumzeug, modrige Pferdedecken, verfaultes Holz gebrochener
Räder. Nach dem Gestank zu urteilen, hatte sich seit Monaten oder Jahren
niemand darum gekümmert.
    »Hier brauchen wir
nicht weiterzusuchen«, sagte Quantz.
    »Sind Sie sicher?«
    »Aber natürlich. In
dieser Kammer ist sehr lange niemand gewesen. Nur so konnte sich der Schmutz
ausbreiten.«
    La Mettrie umfasste
die Kante der niedrigen

Weitere Kostenlose Bücher