Schatten über Sanssouci
der König Freunde gewesen waren.
Sicher waren sie das – damals, als Friedrich noch Kronprinz war und in
Rheinsberg residiert hatte. Er und Quantz waren eine eingeschworene
Gemeinschaft gewesen. Friedrich hatte vor seinem strengen, bigotten,
prügelnden, vom Militär besessenen Vater geheim halten müssen, dass er die
Flöte blies, komponierte, Musik machte, französische Literatur las und
dichtete. Dass ihn das Kriegshandwerk kaum interessierte.
Natürlich war der
alte König misstrauisch. Einmal war er seinem Sohn auf die Schliche gekommen.
Er war plötzlich in Rheinsberg aufgetaucht, als Quantz dem Prinzen gerade eine
Lektion im Flötenspiel erteilte. Während der Soldatenkönig die Treppenstufen
heraufpolterte, packten Friedrich und Quantz in fiebriger Hast Flöten und Noten
zusammen. Als der König das Gemach betrat, hatte sich Quantz im Kamin
versteckt. Dabei ruinierte er sein Gewand, das ihm Friedrich später durch einen
prachtvollen, sehr teuren Rock ersetzte.
Ja, damals hätte er
Friedrich einen Freund nennen können. Aber heute? Heute war Friedrich der
König.
Kaum hatte er den
Thron bestiegen, war das Erbe des Vaters auch in Friedrichs Charakter
durchgebrochen. Die Begeisterung für das Militär gipfelte sieben Monate später
in einem beispiellosen Feldzug gegen Habsburg – im Dezember, einem Monat, in
dem es wegen ungünstiger Witterung kein Feldherr wagte, einen Krieg zu
beginnen.
Doch Friedrich wagte
es und trotzte in einer langen Kette von Schlachten der Kaiserin Maria Theresia
das begehrte Schlesien ab. Fünf Jahre zogen sich die Kämpfe hin. Als endlich
der Aachener Friede geschlossen wurde, als ganz Europa aufatmete und in Potsdam
und Berlin eine neue Zeit anbrach, die eine Friedenszeit sein sollte, da war
aus dem poesie- und musikversessenen Jüngling ein seltsames Doppelwesen
geworden. Jetzt war er Flötenspieler und Militarist,
strenger Befehlshaber und Dichter, Soldatenschinder und Philosoph. Und er sah seine Siege in jeder Minute von
allen Seiten bedroht. Auch von Menschen, denen er eigentlich vertraute.
Friedrich war nun
selbst so etwas wie ein Gefangener. Und seine Welt da oben in Sanssouci mit
Musik und Poesie war nur der Versuch, dieser Gefangenschaft zu entfliehen. Aber
es gelang ihm nicht.
»Herr Quantz«, drang
Sophies Stimme an sein Ohr. Sie schien aus weiter Ferne zu kommen. »Bitte … Soll
ich den Medicus holen?«
Er schüttelte den
Kopf, nahm ihre Hand und sah sie an. »Ich habe Angst«, sagte er. Und dann
erzählte er ihr, was geschehen war.
Sie hörte aufmerksam
zu und blickte Quantz dabei mit ihren großen dunklen Augen an. Er brauchte sich
nur diesem weichen, verständnisvollen Blick hinzugeben, und ihm wurde leichter
ums Herz.
»Sind Sie sich denn
auch sicher?«, fragte sie, als er geendet hatte.
»Was meinst du?«
»Sind Sie sich ganz
sicher, dass es niemand von der Wache war, der Andreas verfolgt hat?«
»Ich kann nicht ganz
sicher sein. Ich habe ihn ja nicht genau gesehen. Aber wenn es jemand von der
Wache war, dann wäre Andreas jetzt nicht verschwunden.«
»Und wenn es jemand
anders war – wie soll er an der Patrouille vorbeigekommen sein?«
Später stand
Quantz an seiner Werkbank und beschäftigte sich mit der neuen Flöte für den
König. Er hatte nun schon die grobe Bohrung absolviert und griff zu einem der
Räumer. Seine Hand zitterte so stark, dass er Angst hatte, die Arbeit, die
äußerste Präzision erforderte, zu verderben. Er ließ davon ab und vertiefte
sich in die seltsamen Noten, die Andreas in der Nacht gebracht hatte.
Es war keine Musik,
die Andreas da aufgeschrieben hatte. Es waren eher Tabellen mit Auflistungen
von Noten. Musikalisch war es sinnlos. Jedes Notenzeichen stand akkurat in
einem von Hand gezogenen Notensystem mit Schlüsseln davor, ordentlich durch
einen Taktstrich voneinander getrennt. Es war, als hätte Andreas ein
bestehendes Musikstück auseinandergepflückt und seine Einzelteile nach einem
verborgenen Muster geordnet.
Quantz verglich die
Handschrift mit den Noten des Themas, das Andreas bei ihm aufgeschrieben hatte.
Es war dieselbe.
Was waren das nur
für Tabellen?
Andreas war verrückt
– an dieser Erkenntnis führte kein Weg vorbei. Er spielte mit Noten, als wären
sie kindische Bauklötze. Und so wenig ein Kind aus seinen Klötzen eine
Kathedrale bauen konnte, so unsinnig war die Vorstellung, Andreas’ Geschreibsel
ergäbe eine Melodie. Geschweige denn ein Konzert.
Aber das Thema! Er
hatte es fehlerlos notiert.
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