Schatten über Sanssouci
umflattern. Es kam nur darauf an, sie
einzufangen, als ob es kleine Vögelchen wären. Oder Schmetterlinge. Er schloss
die Augen, lehnte sich noch bequemer zurück und streckte die Beine aus, wobei
er gegen den Korb mit Gebäck und Getränken stieß, den Sophie ihm mitgegeben
hatte. Doch bald versank er voll und ganz in seinen musikalischen Träumereien.
Doch es gelang ihm
nicht, sich seinen Phantasien hinzugeben. Ein Gesicht tauchte immer wieder vor
Quantz’ geistigem Auge auf. Ein Gesicht mit vernarbter Haut.
Schon gestern waren
Quantz’ Gedanken immer wieder zu Weyhe zurückgekehrt, zu seinen eigenartigen Reden
und seinen seltsamen Vorstellungen vom Dienst des Königs. Er wurde den Eindruck
nicht los, dass dem Rat etwas Gefährliches anhaftete. Was er über den König und
sein Verhältnis zum Staat gesagt hatte, passte nicht in die unterwürfige Welt,
die Preußen nun einmal war. Oder änderte sich das jetzt? Kam mit der neuen Zeit
auch ein freierer Geist in diesen Militärstaat?
Ob es dem König gar
einfiel, mit der Verwirklichung seiner künstlerischen Ideen auch seinen
musikalischen Geschmack zu ändern? Nicht nur was die Philosophie, auch was die
Musik betraf, war die Welt im Umbruch. Und Friedrich nahm höchstpersönlich
daran teil.
Vor gut fünf Jahren
war das Opernhaus an der Straße unter den Linden eröffnet worden. Friedrichs
bevorzugter Opernkomponist war Graun, der Bruder des Konzertmeisters, der bei
den Kammermusikern mitwirkte. Seine Majestät ließ es sich nicht nehmen, selbst
Operntexte zu schreiben und sogar Teile der Musik zu komponieren. Wie es hieß,
arbeitete er gerade an einem Werk, das im fernen Amerika spielte und als Helden
den König Montezuma der Ureinwohner auf die Bühne brachte. Amerikanische
Eingeborene als Opernhelden! Eine unglaubliche Idee. Quantz musste sich
ernsthaft fragen, ob er Friedrich noch lange mit seinen Konzerten begeistern
konnte. Gegen das, was Opern dem Publikum boten, wirkten sie geradezu
bescheiden und kümmerlich.
Vor seinem inneren
Auge erstand die ganze Pracht der Opernbühne – mit ihren täuschend echten
Kulissen, die je nach Handlung Tempel, Wasserfälle, Flusslandschaften oder
Gebirge darstellten. Mit Hilfe raffinierter Bühnentechnik war es möglich,
Seestürme oder Erdbeben zu inszenieren – mit rollendem Donner und Blitzen.
Aber noch hatte er
seine Aufgabe. Er musste keine großen Menschenmengen begeistern mit seiner
Musik. Seine Aufgabe war es, einem einzigen Kenner seiner Kunst gerecht zu
werden. Und er würde diese Aufgabe verteidigen – gegen jede Hofintrige, gegen
jeden Feind.
Er versuchte, seine
Gedanken auf die Musik zurückzulenken. Bald waren die flatternden musikalischen
Motive wieder da, und es war, als brauche er die Hand nur auszustrecken, um
eines von ihnen zu erhaschen. Ein Glücksgefühl durchzuckte ihn.
Als wäre Weyhes
Gesicht in Übergröße zurückgekehrt, schlug eine Riesenfaust zu. Quantz wurde
nach hinten gedrückt, ein stechender Schmerz blitzte durch seinen Rücken.
Instinktiv versuchte er sich aufzurichten, doch etwas zog ihn. Ein Schleifen
und Poltern ertönte, dann drehte sich alles nach rechts, sodass mit einem Mal
brauner Waldboden auf das Seitenfenster zuraste. Der Korb mit dem Proviant
entlud seinen Inhalt im Kutscheninneren. Eine Weinflasche knallte gegen Quantz’
Kopf und kollerte irgendwo hin.
Ächzend befreite er
sich aus der kleinen Kabine. Ein Stück weiter versuchte Franz, die Pferde zu
beruhigen, die voller Angst mit den Augen rollten und mit den Hufen scharrten.
Wenigstens das machte der Junge richtig. Radbruch bei einer Kutschfahrt kam hin
und wieder vor. Quantz biss die Zähne zusammen, als der Schmerz in seinem
Rücken nicht weichen wollte.
Die Kutsche lag auf
der Seite. Das Gepäck, das auf dem Dach untergebracht gewesen war, hatte sich
gelöst und war zehn, zwanzig Schritte weit zwischen die Bäume geschleudert
worden.
»Es tut mir leid,
Herr«, rief Franz, die Augen vor Schreck weit aufgerissen. Das ohnehin
hellhäutige Gesicht war noch bleicher.
»Ist dir etwas
geschehen?«
Der Junge schüttelte
den Kopf. »Ihnen?«
»Nicht der Rede
wert. Sammele das Gepäck ein.«
Franz machte sich an
die Arbeit. Er war offenbar froh, dass ihm jemand sagte, was zu tun war.
Wahrscheinlich hatte der Junge noch nie einen Radbruch erlebt. Wie konnte Brede
einen so unerfahrenen Gehilfen auf eine solche Reise schicken?
Quantz fragte sich,
wo sie überhaupt waren. Der Weg führte gerade durch ein Wäldchen.
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