Schatten über Sanssouci
König heute Abend etwas anderes
vor.« Quantz glaubte selbst nicht recht an das, was er sagte.
»Natürlich sollen
Sie das. Glauben Sie, er will den Bruch mit Ihnen bis nach Berlin tragen? Dort
werden doch die wahren Intrigen gesponnen. Und wenn Sie plötzlich der Musik
nach dem Souper fernbleiben, würde das die Gerüchteküche noch mehr anheizen.«
In Quantz flackerte
eine Mischung aus Zorn und Angst. »Ich glaube nicht, dass ich mir das anhören
muss, Herr Rat.« Er erhob sich. Seine Beine zitterten. »Es hat immer wieder
Gelegenheiten gegeben, bei denen Seine Majestät ein bereits befohlenes
Kammerkonzert abgesagt hat.«
»Jetzt lesen Sie
nicht zwischen den Zeilen, sondern Sie lesen wörtlich. Aber Sie werden es schon
noch lernen. Vergessen Sie Ihre Noten nicht.« Er zog den Teller heran und nahm
die nächste Keule in Angriff.
Wortlos nahm Quantz
die Papiere und ging.
***
Andreas streckte
sich aus. Der Boden war mit etwas bedeckt, das sich wie Stroh anfühlte. Um ihn
herum herrschte Dunkelheit. Er lauschte. Es kam ihm vor, als gluckerte irgendwo
Wasser. War er vielleicht immer noch auf einem Boot?
Er stieß einen
ächzenden Laut aus. Der Schall wurde sofort geschluckt. Das Gefängnis war sehr
klein.
Er befühlte den
Boden und die Wand neben ihm. Seine Finger stießen auf feuchten Stein. Etwas
klirrte. Eisen, mit dem er an einer Wand angekettet war. Also war er in einem
Verlies. In einem Keller.
Vorsichtig versuchte
er aufzustehen. Nur ein Arm war gefesselt, aber so eng am Boden, dass Andreas
nur in die Hocke gehen konnte.
Er schob das Stroh
zusammen und sank auf das Lager zurück.
Etwas ließ ihn
aufschrecken. Jetzt war es heller, die steinernen Wände wurden sichtbar. Vor
Andreas stand ein klobiger menschlicher Umriss. Ein Schatten. Der Teufel.
Er kam auf ihn zu
und griff nach den Ketten.
»Brauchst nicht zu
schreien«, sagte er. »Wir lassen dich am Leben. Aber nur, wenn du tust, was man
dir sagt.«
7
Endlich
hatten die Wachsoldaten am Tor auf der Langen Brücke ein Einsehen und ließen
die Kutsche passieren. Als Quantz’ Blick auf das Wasser der Havel fiel, schien
sich etwas in seiner Brust zu weiten. Es war ein Gefühl der Befreiung.
Er öffnete das
Seitenfenster. Im Licht der aufgehenden Sonne näherten sie sich der anderen
Seite des Flusses. Bald lag Potsdam hinter ihnen, und die Hänge des Babelsbergs
wanderten vorbei.
Quantz wäre lieber
noch früher gefahren, denn auf dem langen Weg nach Berlin konnte man nie sicher
sein, ob es nicht zu Verzögerungen kam. Trotz des Verkehrs aus Fuhrwerken,
Kutschen, berittenen Boten und Fußgängern, der ständig zwischen den beiden
Residenzstädten herrschte, waren die Straßen in einem schlechten Zustand. Es
gab noch nicht einmal eine regelmäßige Postkutschenlinie, eine Journalière, die
jedoch – wie Quantz vom Gastwirt Schulze von der »Goldenen Krone« gehört hatte
– geplant war. Schulze hoffte, dass Seine Majestät, wenn es denn so weit war,
die Station vor seinem Hause einrichten würde.
Der rothaarige Junge
auf dem Kutschbock gab sich alle Mühe, die verlorene Zeit aufzuholen. Er hatte
verschlafen, und deswegen hatte Quantz später aufbrechen müssen. Brede, der
gestern den Professor nach Berlin gefahren hatte, befand sich noch in der
Hauptstadt. Der Rothaarige da vorn, der jetzt die Pferde antrieb, als wolle er
ein Wettrennen gewinnen, hieß Franz. Er war einer von Bredes Gehilfen.
Quantz lehnte sich
in die Polster zurück und versuchte, trotz der Enge seinen Rücken zu
entspannen. Das regelmäßige Gepolter machte ihn müde. Er hatte nicht viel
Schlaf bekommen in dieser Nacht. Sophie hatte sofort seine Unruhe nach dem
Besuch bei Rat Weyhe gespürt. Und am Abend, nachdem Quantz wieder viele Stunden
damit verbracht hatte, sich Themen für ein neues Flötenkonzert auszudenken, und
an der neuen Flöte für den König weitergebaut hatte, war ihr die richtige
Methode eingefallen, wie er zur Ruhe kommen konnte.
Die Räder der
Kutsche klapperten. Das Getrappel der Pferde schlug die Begleitung dazu, und
mit ein wenig Phantasie konnte Quantz aus der Geräuschkulisse einen Rhythmus
herausfiltern.
Auf seinen Reisen
hatte er oft in Kutschen komponiert, indem er sich auf das konzentrierte, was
ihn umgab. Das konnte das Liedchen einer vorbeilaufenden Magd sein, der Gesang
eines Vogels, eine auffällige Verbindung von verschieden gestimmten
Kirchenglocken oder der Rhythmus von Pferdehufen.
Einige Ansätze für
kleine Melodien begannen Quantz zu
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