Schatten über Sanssouci
riesiges Viereck mitten
in der Stadt, nannte man »Faulen See«. Es war wegen des sumpfigen Untergrunds
nicht zur Bebauung geeignet. Der alte König, Friedrichs Vater, hatte die
Warnungen seiner Baumeister ignoriert und Tag für Tag Bauschutt und Steine in
den Sumpf schütten lassen, um ihn trockenzulegen – mit dem Ergebnis, dass der
Morast all das Material in derselben Regelmäßigkeit wie von Zauberhand zurück
ans Tageslicht brachte.
Immerhin hatte man
es geschafft, einen begehbaren kleinen Park daraus zu machen. Nachts war er
nicht beleuchtet und wurde auch von vielen abergläubischen Potsdamern gemieden.
Viele erinnerte das Areal an einen verhexten Friedhof, der die Leichen immer
wieder freigab.
Nun blieb Quantz am
Rand des Platzes stehen.
»Angst«, flüsterte
es ihm aus dem Dunkel entgegen. »Sie haben Angst …«
Der Schatten war
nicht zu erkennen.
»Angst … ein
Diener des Königs darf keine Angst haben«, raunte es leise. »Sind Sie nicht
auch ein Soldat? Sozusagen ein Soldat der Musik? Und was ist ein Soldat, der
Angst hat?«
»Was wollen Sie?«,
rief Quantz. »Wer sind Sie?«
Er lauschte in die
Dunkelheit und ging noch ein paar Schritte auf das Areal. Vier Wege führten
sternförmig auf einen Platz in der Mitte. Dazwischen wuchsen Lindenbäume, die
der König erst vor Kurzem hatte pflanzen lassen und die noch klein waren –
anderthalb Mannslängen hoch. Doch sie verströmten bereits ihren betörenden
Frühlingsduft.
»Helfen Sie
Andreas«, flüsterte es zwischen den wispernden Lindenblättern. »Er kann Ihnen
helfen, aber helfen Sie auch ihm.«
»Andreas? Wo ist er?
Wissen Sie etwas?«
Quantz suchte
vergeblich die Dunkelheit ab. Vor ihm stand einer der Bäume. Er tastete nach
der Rinde. Das raue Gefühl auf der Handfläche gab ihm etwas Sicherheit.
»Brandenburger Tor …«
»Ist Andreas dort?«
»Kommen Sie vor das
Tor«, wiederholte die Stimme. »Und beeilen Sie sich. Die Zeit wird knapp.«
Aufkommender Wind
brachte die Blätter der jungen Bäume zum Rauschen.
»Wo sind Sie?« Es
wurde noch dunkler um Quantz. Die Linden schirmten das ohnehin matte Licht der
Öllampen auf den Straßen ab. Die Stimme schwieg. »Sind Sie noch da?«
Quantz hörte nichts
als das Pumpen des Blutes in seinen Ohren und das Rascheln des Laubes.
Zum Brandenburger
Tor sollte er gehen. Aber warum diese Geheimnistuerei?
Es gab nur eine
Erklärung. Andreas war nicht einfach fortgelaufen. Er versteckte sich. Weil er
etwas erfahren hatte, das gefährlich für ihn war. Etwas, das mit diesem
Franzosenpack zusammenhing. Und vielleicht sogar mit der seltsamen
Musikerverschwörung.
Doch Quantz besaß
keinen Beweis. Nur Andreas selbst konnte Licht in die Sache bringen. Er musste
gefunden werden, damit man ihn befragen konnte. Damit endlich klar wurde, dass
Quantz mit der ganzen Sache nichts zu tun hatte. Damit Seine Majestät wieder Vertrauen
zu ihm fasste. Und nicht nur Friedrich, auch der Rat Weyhe vom
Kriminalkollegium musste überzeugt werden.
Weyhe musste mit ihm
mitkommen! Wenn der Rat ihn zum Tor begleitete, würde er Zeuge sein, wie der
Lakai wiedergefunden wurde. Quantz eilte die Straße hinunter auf die
Königlichen Ställe zu. Von hier war es nicht mehr weit zum Stadtschloss.
Schon auf Höhe der
Schwerdtfegergasse kam ihm eine Patrouille entgegen. Er blieb ruhig, als er
wieder einmal militärisch angeblafft wurde. »Ich muss sofort zum Schloss«,
sagte er zu dem Soldaten, den er für den Anführer hielt.
»Was will Er da? Er
hat in seinem Quartier zu sein.«
»Ich muss zu Rat
Weyhe. Es ist wichtig.«
»Rat Weyhe, so. Wer
soll das sein?«
»Halten Sie mich
nicht auf. Es ist eine dringende Angelegenheit. Es hat mit dem König zu tun.«
Die Erwähnung Seiner Majestät würde ihm vielleicht freie Bahn verschaffen.
»Langsam. Wir werden
Ihn begleiten. Und dann sehen wir weiter.«
Sie umringten ihn
und führten ihn zum Wachhaus, wo Lichter brannten. Ein Offizier kam aus dem
Haus. Wieder wurde Quantz gefragt, wo er hinwolle.
»Zum Rat Weyhe«,
antwortete er. Und um der Sache einen offiziellen Anstrich zu geben, fügte er
hinzu: »Er erwartet mich.«
Der Soldat sah
Quantz ruhig an und nickte. »Rat Weyhe …«
»Er wohnt hier im
Schloss. Seine Majestät hat ihm ein Zimmer zur Verfügung gestellt.«
Der Offizier nickte.
»Ich weiß, ich weiß, Herr …«
»Quantz.
Kammermusikus des Königs.«
Auf einen kurzen
Befehl hin marschierten zwei Soldaten mit einer Fackel durch das Tor. Zuerst
beleuchteten
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