Schatten über Ulldart
bewegten.
Eiskalt pfiff der Wind den Boden entlang und wirbelte Schnee umher.
»Haben wir uns verfahren, Waljakov?« Lodrik schaute den massigen Leibwächter unsicher an. »Ich sehe zwar einen Palast, aber keinen Gouverneur, der mich begrüßt. Dabei hat sich inzwischen bestimmt herumgesprochen, dass ich sein Nachfolger bin, oder?«
Stoiko erschien an seiner Seite, zog den Schal vors Gesicht und musterte die Szenerie. Das große Gebäude schien wie ausgestorben, kein Licht brannte. »Eine Ruine könnte nicht einladender sein, Herr«, bemerkte der Diener spitz. »Und wenn ich noch länger in der Kälte stehen muss, bricht mein Schnauzbart ab.«
Waljakov, dem die Temperaturen wenig auszumachen schienen, winkte einen der beiden Livrierten mit einer energischen Handbewegung zu sich heran.
»Wo ist Gouverneur Jukolenko? Mein Herr, der Harac und zukünftige Statthalter, will sofort mit ihm reden.« Die Hände in die Hüften gestemmt, stand der Leibwächter drohend vor dem Bediensteten, der sichtlich beeindruckt von dem Soldaten war. »Sofort«, wiederholte er noch einmal und legte die mechanische Hand an den Säbelgriff.
»Der gnädige Herr ist in der Oper, zusammen mit seiner Familie und dem Hof. Anschließend findet das jährliche Bankett der Großbauern statt, auf dem der Gouverneur Ehrengast ist«, sagte der Livrierte hastig und versuchte ein Lächeln. »Wenn er aber gewusst hätte, dass Ihr heute erscheint, dann …«
Der Kahlköpfige ließ die grauen Augen böse aufblitzen, dass dem Mann der freundliche Gesichtsausdruck im Gesicht erstarb. »Wo ist dieses Bankett?«, fragte Waljakov, der den Wachen mit einer Geste das Absitzen signalisierte.
»Gleich hier in der Nähe, Herr, die Straße runter und dann die vierte rechts ab, im Granburgs Bestes, direkt neben der Oper. Sie müssten inzwischen beim Essen sein. Wenn Ihr wollt, lasse ich einen Laufburschen schicken, der den Gouverneur …«
»Nein«, hallte Lodriks hohe Stimme über das verschneite Pflaster. »Ich werde mir das Bankett selbst ansehen.« Der Tadc drehte sich auf dem Absatz und stieg in die Kutsche ein. »Na, los. Worauf wartest du, Stoiko?« Der Junge schaute aus dem Fenster und nickte Waljakov zu. »Du wirst uns mit zehn deiner besten Männer begleiten.«
Der Leibwächter deutete die übliche knappe Verbeugung an, wählte sicherheitshalber ein Dutzend Bewaffnete aus und stieg in den Sattel. Die restlichen Wachen brachten die Pferde in die Stallungen.
Polternd setzte sich die Kutsche in Bewegung und schaukelte die Straße hinunter in Richtung Bankett.
»Das war eine sehr gute Idee von Euch, Herr. Den Großbauern werden die Augen übergehen, ganz zu schweigen vom Gouverneur, wenn der Nachfolger plötzlich erscheint, seine Aufwartung macht und beim schönsten Essen die Abberufung Jukolenkos auf den Tisch wirft.« Stoiko rieb sich die Hände und freute sich. »Wirklich sehr gut, Herr.«
Lodrik stutzte. »Von der Seite habe ich es noch gar nicht betrachtet. Ich meine, es wäre ein ziemlicher Affront gegen den Mann. Ihn so bloßzustellen vor allen Leuten bedeutet eigentlich die Kriegserklärung, oder?«
»Ihr wolltet das gar nicht?« Jetzt war es an dem Vertrauten, ein verdutztes Gesicht zu machen.
»Nun, ja. Ich habe Hunger, hast du das schon vergessen? Und bevor ich in dem verlassenen Palast verhungere, gehe ich dorthin, wo es etwas zu essen gibt.« Lodrik grinste. »Aber deine Idee werden wir auch noch in die Tat umsetzen, keine Angst. Doch zuerst wird gegessen.«
»Sicher, Herr.« Der Diener schaute zur Decke und seufzte. »Zuerst wird gegessen. Lasst mich Euch noch schnell ein paar Ratschläge geben, bevor wir in die Höhle des Löwen gehen.«
Wasilji Jukolenko setzte den silbernen Pokal ab, wischte sich den dünnen Schnurrbart ab und schaute in die illustre Runde, die sich auf seine Kosten im Granburgs Bestes versammelt hatte.
Achtzehn Großbauern gaben sich die Ehre, heute Abend zu erscheinen, sieben Adlige stopften sich die kulinarischen Kostbarkeiten und Delikatessen in den Mund, als ob sie ihre Henkersmahlzeit vor sich hätten.
Je mehr Gold diese Menschen haben, desto geiziger werden sie, dachte der Gouverneur und streckte sich ein wenig. Seine graue Uniform mit den silbernen Ketten und grünen Stickereien saß tadellos am Körper, der mit den Jahren in Granburg etwas aus der Form geraten war. Das schüttere Haar wurde durch die übliche silberne Hochperücke verborgen.
Nachdenklich zwirbelte er am dünnen Schnurrbart, während er
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