Schatten über Ulldart
freundlicher, wenn sie unterwegs sind«, überlegte der Gouverneur nach einer Weile.
»Bestimmt, Herr«, beruhigte der Leibwächter und begleitete den Jungen bis vor die Badezimmertür. »Ich warte hier auf Euch.«
Lodrik kniff die Augen zusammen, als sei ihm gerade ein Gedanke gekommen. »Was weißt du über Frauen?«
»Verzeiht, Herr?«
»Ich meine, wie unterhält man sich mit ihnen? Ich glaube, man macht sehr schnell einen Fehler, wenn man nicht aufpasst, kann das sein?«
Waljakov war mehr als irritiert. »Herr, ich bin der Falsche, um Euch in Frauenangelegenheiten zu beraten. Fragt am besten Stoiko.« Er öffnete die Tür und versuchte auf diese Weise geschickt, um die Fortführung des Gesprächs herumzukommen.
»Das werde ich wohl tun«, sagte der Junge gedankenverloren und verschwand im Inneren des Zimmers.
»Wie kommt er denn zu Frauen?«, wunderte sich der Kämpfer halblaut. Dann grinste er plötzlich breit. Sollte die hübsche Norina vielleicht Eindruck bei seinem Herrn hinterlassen haben? Stoiko würde sich sehr wundern, wenn er ihm das beim abendlichen Schachspiel erzählen würde.
»Magst du keine Frauen?« Unvermittelt erschien der Kopf seines Schützlings im Rahmen.
»Äh, doch.« Das Grinsen von eben entglitt ihm fürchterlich. »Ich habe nur keine Zeit, mich um sie zu kümmern.«
»Wegen mir?«
»Unter anderem«, wich Waljakov aus und hoffte, dass dieses unangenehme Verhör bald beendet wäre. »Ich bin nicht gerne in ständiger Gesellschaft von Frauen. Sie reden mir zu viel dummes Zeug. Weiberklatsch und Tratsch, Ihr wisst, was ich meine, Herr.«
»Aha.« Lodriks Kopf verschwand wieder.
Doch der Leibwächter atmete erst auf, als er das Wasser von drinnen plätschern hörte. Erleichtert wischte er sich die Feuchtigkeit von der Glatze. So geschwitzt hatte er höchstens im Verlauf eines Kampfes, stellte er verwundert fest. Stoiko musste unbedingt mit dem Thronfolger reden.
Eine Stunde später betrat ein frisch gewaschener und parfümierter Lodrik als Harac Vasja das Audienzzimmer, um sich mit Streitigkeiten, Bittstellern und allem anderen, was die Granburger zu beklagen hatten, zu beschäftigen.
Allerdings verliefen die Audienzen eher ruhig, weil sich keiner in den Palast wagte, sich über etwas zu beschweren oder eine Angelegenheit klären zu lassen.
Zu Jukolenkos Amtszeiten war das kleine Zimmer eine Abstellkammer gewesen, die Lodrik erst entrümpeln lassen musste. Alleine daran erkannte der Thronfolger, was sein Vorgänger von den Pflichten eines Königlichen Beamten gehalten hatte.
Gewöhnlich sortierte der Gouverneur in der Zeit Akten, wälzte ein paar Verwaltungsbücher oder überlegte, welche Maßnahmen man aufheben könnte, um sich bei der Bevölkerung beliebt zu machen, ohne dabei gegen geltendes tarpolisches Recht zu verstoßen.
Nach einer Stunde reckte er sich müde und fragte sich, welcher Schneider das Muster für die Beamtenuniformen entworfen hatte.
Die Arme konnte man kaum auf Schulterhöhe heben, der graue Stoff war unbeweglich und wirkte wie eine Korsage, die einen zu einer äußerst unbequemen Haltung zwang. Mehr als zwei Stunden hielt er selten in dem Rock aus, dann schnitt der steife Kragen in den Hals. Direkt weggelassen hatte er die stinkende Hochperücke, in der sich Heerscharen von Motten tummelten. Lieber trug er sein eigenes, dünnes blondes Haar im Nacken verknotet, als diese Flohbrutstätte auf dem Kopf zu haben.
Er beobachtete die vielen Staubkörner, die im milden Sonnenstrahl hin und her tanzten, und in Gedanken kehrte er an die erste Begegnung mit Norina zurück.
Zugegeben, das Mädchen hatte eine spitze Zunge, aber von ihrer offenen Art, die keineswegs so naiv wie die seine war, fühlte er sich angezogen. Ihre prächtigen, schwarzen Haare, die dunklen, geheimnisvollen Augen und diese unauffällige Narbe an der Schläfe, das war ihm am besten in Erinnerung geblieben, dicht gefolgt von ihrer schlanken Figur.
Seufzend blätterte er die Seiten eines Folianten um, dessen Name er gar nicht richtig wahrgenommen hatte.
Wie sollte er es nur anfangen? Sicher, er war der Gouverneur, nein, er war sogar der Tadc, aber ob sich alles mit einem hoheitlichen Befehl machen ließe? Gerade bei Norina war er sich auf eine unbestimmte Weise ziemlich sicher, dass ein Befehl überhaupt nichts bringen würde. Und damals, so fürchtete er, beim ersten Zusammentreffen, hatte er sich ziemlich blamiert.
Laute, erregte Stimmen rissen ihn aus seinen Gedanken. Dann öffnete
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