Schatten über Ulldart
Hat dein Hirte geschlafen, ja oder nein? Eine Lüge käme dich teuer zu stehen.«
»Nicht wirklich geschlafen. Höchstens gedöst, Exzellenz, aber was macht das schon?« Die Gleichgültigkeit des Geschäftsmannes war erschreckend.
Lodrik erhob sich, die wässrig blauen Augen blitzten mit einem Mal energisch auf, wie sie das öfter taten, seit er in Granburg war. »Ich höre ja wohl nicht richtig, mit welcher Unverschämtheit du hierher kommst! Du wirst dem Landpächter eine Entschädigung für sein Korn zahlen, Händler.«
Meschinskaja wurde plötzlich blass. Man sah ihm an, dass er im Moment nicht wusste, wie ihm geschah. Ähnlich erging es auch Radomil, allerdings aus für ihn erfreulicheren Gründen.
»Wie viel Korn ist an einer Ähre?«, wollte der Gouverneur wissen.
»Etwa zwölf Stück, Exzellenz«, antwortete der Landpächter verdutzt.
»Dann setze ich hiermit die Höhe der Entschädigung fest. Du, Stenka Meschinskaja, wirst ihm, Radomil, für jedes Korn, das deine Schweine gefressen haben, einen halben Waslec zahlen oder ihm fünf Fass Getreide schenken. Das ist mein Richterspruch im Namen des Kabcar.« Lodrik starrte den Händler feindselig an. »Widerspruch?«
»Exzellenz, ich weiß nicht, wieso Ihr für den entscheidet.« Meschinskaja verstand die granburgische Welt nicht mehr. »Gouverneur Jukolenko hat immer ohne jegliche Formalität in solchen Fällen …«
»Das war der falsche Einwand«, flüsterte Stoiko Waljakov schadenfroh zu.
»Ich bin aber nicht«, Lodrik schrie das letzte Wort beinahe, »Jukolenko! Ich bin Beamter des Kabcar, des Herrschers von Tarpol, und ich treffe keine Entscheidungen zu Gunsten Privilegierter, weil es mir so besser in den Kram passt. Noch ein Wort und ich bestrafe dich wegen versuchter Bestechung eines Königlichen Beamten! Und jetzt raus! Alle beide!«
Der Schweinehändler verbeugte sich widerwillig und griff vorsichtig nach seinem überbrachten Geschenk.
Schwer fiel die Hand des Statthalters auf den kleinen Kasten. »Das bleibt hier. Als Beweis.«
Rückwärtsgehend verließen die Granburger das Zimmer und rempelten beinahe eine elegant gekleidete Frau um, die in der Tür erschienen war.
Zwei Soldaten mit dem Wappen der Baronie Kostromo verhinderten den Zusammenstoß im letzten Augenblick, dann trat die Besucherin ein, ohne sich um den Protest von Stoiko zu kümmern.
Sie war um die dreißig Jahre alt, hatte langes, dunkelrotes Haar, ein äußerst hübsches, aber arrogantes Gesicht und ein paar hellgrüne Augen, die durchdringend und überheblich wirkten.
Das enge, dunkelgrüne Kleid betonte ihre verführerische Figur, Schmuck und Accessoires waren sorgfältig zum Stoff ausgesucht worden, um die Wirkung der Trägerin zu verstärken.
Auf ihren Schultern ruhte ein leichter, weißer Reisemantel, der vor der Brust von Goldketten zusammengehalten wurde. Unauffällig schimmerten kostbare Iurdumeinlagen auf. Vermutlich konnte alleine vom Iurdum, dem seltensten Metall in Ulldart, eine einfache Familie eine Dekade lang leben. Grüne Wildlederstiefel rundeten die eindrucksvolle Erscheinung der Frau ab, die sich noch immer zielstrebig auf Lodrik zubewegte.
Erst als Waljakov ihr groß und breit in den Weg trat, blieb sie stehen.
»Ich bin Aljascha Radka, Vasruca der Baronie Kostromo, und würde gerne den Gouverneur sprechen«, sagte sie mit einer samtweichen Stimme, in der aber der Befehlston unüberhörbar war.
»Er ist derzeit in der Audienz und steht für offizielle Empfänge nicht zur Verfügung, Vasruca.« Stoiko erschien an der Seite des Leibwächters. »Wartet bitte, bis die Audienzzeit vorüber ist. Der Gouverneur kümmert sich im Namen des Kabcar gerne persönlich um die Belange seiner Bürger und Schutzbefohlenen.« Er winkte einen Bediensteten herbei. »Man wird Euch in das Teezimmer führen. Exzellenz wird schon bald zu Euch kommen, Durchlaucht.«
»Ich beuge mich den Gepflogenheiten des granburgischen Statthalters«, sagte sie und neigte lächelnd den Kopf, »auch wenn ich mit einem freundlicheren Empfang gerechnet hätte, nachdem ich meinen Boten vorgeschickt hatte.«
»Euer Bote, Durchlaucht, hat sich nicht so verhalten, wie man es von einem guten Lakaien erwarten durfte«, widersprach Waljakov. »Also wundert Euch nicht, dass die Nachricht nicht von ihm überbracht wurde. Überlegt Euch eine angemessene Bestrafung für Euren Mann.«
»Ich werde es in Erwägung ziehen, auch wenn Euer Ton ebenfalls nicht dem eines guten Lakaien entspricht.
Ich hoffe,
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