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Schatten über Ulldart

Schatten über Ulldart

Titel: Schatten über Ulldart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Fenstern und Läden wurden gelöst, wie der junge Mann an den Geräuschen erkannte.
    »Hoher Herr, wir empfehlen uns. Es wird uns eine Freude sein zu verkünden, dass die besseren Tage nicht mehr weit entfernt sind.«
    Dürre Schatten mit riesigen, fledermausartigen, grauen Schwingen kletterten nacheinander auf das Sims und stießen sich ab. Lodrik sah im schwachen Mondlicht nackte, menschliche Körper, fast fleischlose Köpfe, in deren gewaltigen Augenhöhlen das Purpur leuchtete, krallenbewehrte Hände und klauenartige Füße.
    »Wie viele seid ihr? Wer seid ihr?« Der Gouverneur ließ den Säbel sinken.
    Das letzte der Wesen blieb auf dem Sims hocken, entfaltete mit einem Flattern, wie es der junge Mann von großen Fahnen her kannte, die breiten Flügel und schaute ihm genau in die Augen. Die Höhlen pulsierten tiefpurpurn.
    »Wir sind die Beobachter, Hoher Herr. Und wir sind viele hundert.« Wieder hörte er das Flüstern in seinen Gedanken; das Wesen hatte seinen schmalen Mund mit den bleichen Lippen nicht geöffnet. Langsam senkte es den Kopf. »Wir warten, bis du uns rufst, Hoher Herr.« Kraftvoll stieß es sich ab, der Körper schoss ins Freie.
    Lodrik sprang auf und rannte zum Fenster.
    Vier menschliche Schatten mit beachtlichen lederhaften Schwingen glitten durch die Luft und entfernten sich sehr schnell vom Gehöft. Elegante Schläge ihrer Flügel trugen sie in den nachtschwarzen Himmel.
    Der Statthalter verfolgte ihre Bahn, bis sie mit der Dunkelheit verschmolzen.
    Äußerst nachdenklich kehrte er zu seiner Schlafstätte zurück und suchte den Gegenstand, den seine Besucher zurückgelassen hatten.
    Zwischen ein paar Falten der Bettwäsche fand er ein handtellergroßes Amulett mit seltsamen Schnörkeleien, das aus einem schwarz schimmernden Metall gearbeitet worden war. In der Mitte saß ein matt schimmernder Stein von der Farbe einer dunklen Rose. Das Material fühlte sich nicht kalt an, vielmehr verfügte es über die gleiche Temperatur wie Lodriks Handfläche.
    Bei Tag wollte er sich das Schmuckstück mit all seinen Einzelheiten in aller Ruhe ansehen, heimlich und ohne Aufsehen. Wieder sagte ihm ein Gefühl, dass er die Neuigkeit über das Geschenk und seine neuen, unheimlichen Diener für sich behalten sollte.
    Den Rest der Nacht verbrachte er damit, sich Gedanken über diese fliegenden Wesen zu machen. Obwohl er mehr Märchen, Legenden und Sagen gelesen hatte als die meisten Tarpoler, erinnerte er sich beim besten Willen nicht daran, jemals auch nur eine Beschreibung seiner Besucher gefunden zu haben. Sobald er wieder in der Gouverneursresidenz war, wollte er sich so lange in die Bücher vergraben, bis er einen Hinweis auf sie fand.
    Nach einem ausgedehnten Frühstück ließ der Großbauer die Pferde satteln, um dem Statthalter einen Überblick über Ländereien und Menschen zu verschaffen.
    Lodrik schritt auf sein Pferd zu, das aber plötzlich die Ohren nach hinten legte und zur Seite tänzelte, als er die Hand nach den Zügeln ausstreckte.
    Der Stallknecht beruhigte das unvermittelt nervöse Tier, aber auch der zweite Versuch, den Hengst besteigen zu wollen, scheiterte am Aufbäumen und Treten. Nur im letzten Moment konnte ein anderer Knecht zur Seite springen, sonst hätten die eisenbeschlagenen Hufe ihren Abdruck auf dessen Kopf hinterlassen.
    »Ich verstehe das nicht«, murmelte der Gouverneur. »Als ob es vor einem Raubtier scheuen würde.«
    »Es ist aber kein Raubtier in der Nähe.« Waljakov stieg ab und half, Lodriks Reittier zu beruhigen. »Das haben wir gleich.«
    »Vielleicht hat es nur keine Lust, sich zu bewegen«, grinste Stoiko von seinem Pferd hinunter.
    Erst nach den Bemühungen des Leibwächters ließ der Schimmel den jungen Mann näher an sich herankommen und erlaubte ihm, in den Sattel zu klettern. Die Ohren blieben aber angelegt, das Verhalten schien weiterhin ungewöhnlich. Lodrik musste unterwegs immer wieder all sein mühsam erworbenes Geschick aufwenden, um den Gang des Tieres in die Richtung zu lenken, wohin er wollte.
    Auch wenn sich Miklanowo die allergrößte Mühe gab, während des Ritts für Unterhaltung und Abwechslung zu sorgen, war er nicht imstande, Lodrik aus seinen Grübeleien zu reißen. Die Schweigsamkeit und ständige geistige Abwesenheit fielen sowohl Stoiko als auch Waljakov auf.
    »Was überlegt Ihr denn ständig, Herr?«, versuchte der Vertraute dem jungen Mann etwas zu entlocken. »Der arme Großbauer unternimmt eine Anstrengung nach der anderen, um Euch

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