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Schatten über Ulldart

Schatten über Ulldart

Titel: Schatten über Ulldart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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ihren Verstand angriffen.
    Ihre Visionen zeigten ihr große, alte und halb zerfallene Kampfschiffe, die durchs Meer pflügten, furchtbare, hasserfüllte Krieger, die plündernd und mordend durch einst blühende Ebenen zogen und alles niedermetzelten, was sich ihnen in den Weg stellte. Eine wunderschöne Frau mit den grausamsten Augen, die sich Fatja vorstellen konnte, befehligte die Truppen, ein hübscher junger Mann stand in einem Ring gleißender Energie und verbrannte mit seinem Purpuratem ein Dorf zu Asche. Mütter und Kinder wurden von einem missgestalteten, riesigen Krüppel in einer prächtigen Rüstung mit einer gewaltigen Keule lachend erschlagen, und über allen Geschehnissen glühten die riesigen Augen Tzulans. Was auch immer der Gouverneur mit dieser Zukunft zu tun hatte, sie würde Not und Elend über den gesamten Kontinent bringen.
    Langsam fasste sie sich wieder, doch die Szenen hatten sich fest in ihr Gedächtnis eingebrannt.
    »Was hast du gesehen, kleine Frau?«, flüsterte es in ihren Gedanken.
    Erschrocken hob sie den Kopf und blickte auf ein dürres, menschliches Wesen mit blasser Haut und Fratzengesicht, das sich lautlos neben ihr auf dem Sims niedergelassen hatte. Auf dem Rücken trug es ein mächtiges Paar lederartiger Flügel, die Augenhöhlen glühten purpurn. Die gespannte Körperhaltung verriet Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, sofort auf eine Bewegung des Mädchens zu reagieren.
    »Was hast du gesehen, kleine Frau?«, wiederholte die Kreatur lauernd.
    »Was willst du?« Eiskalte Angst machte sich bei Fatja breit. Vor ihr saß einer der Beobachter, denen das borasgotanische Volk schreckliche Mächte zuschrieb.
    »Du hast das Schicksal unseres Hohen Herrn erkundet, oder?«, wisperte es drohend in ihrem Verstand. »Du wirst niemandem von deinen Entdeckungen berichten, oder wir finden und töten dich. Deine Seele werden wir rauben und sie verschlingen, deinen Körper werden wir schänden und deine Familie auslöschen, wenn du nur ein Sterbenswörtchen verrätst, kleine Frau.«
    Der Beobachter streckte die klauenartige Hand nach ihrem Gesicht aus und streichelte sanft entlang der Schläfe über die Wange bis zu ihrem Hals. Der zentimeterlange Fingernagel ruhte mit sanftem Druck an ihrer Kehle. »Du bist nirgends vor uns sicher, kleine Frau, vergiss das niemals.« Mit der anderen Kralle riss er ihr ein Büschel Haare aus. »Damit finden wir dich überall.«
    Fatja nickte hastig. »Ich werde mit niemandem reden, ich gebe euch mein Wort.«
    »Du wirst noch heute Nacht vom Gehöft verschwinden, zurück nach Borasgotan oder wo immer du hin willst«, befahl der Beobachter mit seiner Gedankensprache und brachte sein schreckliches Gesicht ganz dicht vor ihres.
    Die Augenhöhlen pulsierten in der Dunkelheit und lähmten jeden Widerstandswillen, den das Mädchen hätte aufbringen können. Der Geruch von faulendem Fleisch wehte ihr entgegen, dann zeigte die Kreatur die Doppelreihen messerscharfer Zähne, die wie tödliche, dreckig schwarze Gebirge aus dem stinkenden Maul ragten.
    »Beeile dich, kleine Frau.« Die Flügel entfalteten sich und trugen das Wesen in die Nacht.
    Hastig sprang Fatja von der Fensterbank, stopfte ein paar Habseligkeiten zusammen mit ihren Kleidern in ihren Leinenbeutel und nahm den Weg aus dem Fenster, um keinem der Gäste zu begegnen, der Fragen stellen könnte.
    Sie wollte nur noch schnell weg von hier. Weg von diesen Kreaturen und weg von diesem Gouverneur, der mit Mächten im Bund stand, mit denen sie nichts zu tun haben wollte.
    Fatja rannte in die Dunkelheit, während sie in ihrem Kopf immer noch das Wispern des Beobachters zu hören glaubte.
    Am nächsten Morgen stand die Rückreise in die Gouverneursresidenz an. Lodrik und seine Begleiter packten in aller Frühe ihre Sachen, um vor der brütenden Mittagshitze so lange wie möglich sicher zu sein.
    Überschwänglich bedankte sich der Statthalter bei Miklanowo für das Fest und den Ausflug aus der Provinzhauptstadt, der ihm eine ersehnte Abwechslung vom intrigenreichen Tagesgeschäft gebracht hatte.
    Mit einer vorgeschobenen Entschuldigung setzte sich der junge Mann ab, um sich von Norina persönlich zu verabschieden. Er fand sie im Gesellschaftszimmer, vertieft in ein Buch.
    Leise hüstelte Lodrik, um auf sich aufmerksam zu machen.
    Die Brojakentochter blickte auf und runzelte wegen der Störung die Stirn.
    »Womit kann ich Exzellenz helfen?« Sie klang unwirsch, abweisend. Sein Mut sank.
    »Ich wollte mich von dir

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