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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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anspringen, und sie reagierte wie erhofft: Sie wich mir instinktiv aus – und rettete sich durch die Lücke auf der Fahrbahn auf den gegenüberliegenden Fußgängerweg. Gut, weit weg von Julian. Ich selbst musste springen, um dem Taxi zu entwischen. Auf der Jeans schlitterte ich über das letzte Stück der Motorhaube und erreichte hinter Zoë den leeren Fußgängerweg. Hinter mir brüllte der Taxifahrer lautstark aus dem Autofenster und wünschte mich zur Hölle. Jetzt konnte ich nicht viel mehr tun, als dafür zu sorgen, dass Zoë nicht mehr auf die Straße kam und die Brücke über den sicheren Fußgängerweg erreichte. Ab der Mitte der Brücke würden sie von ihr ablassen. Aus dem Augenwinkel erhaschte ich Julians Grinsen auf der anderen Straßenseite. Er dachte wohl, ich würde mich an der Jagd beteiligen. Arschloch. Irgendwo hinter mir musste der Wrestler sein. Und der Taubenfresser? Im Laufen drehte ich mich um, aber ich konnte keinen der beiden entdecken. Als ich nach vorne blickte, rutschte mir das Herz in die Hose. Zoë hatte die Brücke fast erreicht. Aber sie strauchelte und wäre fast gestürzt, als sie den Abgrund des Flusses sah.
    »Lauf!«, schrie ich. Sie blieb stehen und starrte über das Geländer ins Wasser, das zehn Meter unter ihr träge glitzernd dahinfloss. Nicht springen, flehte ich. Ich stoppte, damit ich sie nicht verschreckte.
    Zoë drehte sich um sich selbst, suchend schweifte ihr Blick umher. Ich blinzelte verwirrt. Etwas Unscharfes umgab sie oder bildete ich mir das nur ein? War das nur ein Lichteffekt der vorbeischwirrenden Autolichter?
    Und dann – endlich! – glitt sie auf die Brücke. Im selben Augenblick überholte mich der Wrestler mit einem Molekülschweif aus Aggression, Schweiß und Fleischatem. Keuchend blieb ich stehen und sah den beiden nach. Bilder lügen nicht, hallte Rubios Stimme in meinem Kopf. Ohne nachzudenken, hob ich mein Handy, das ich seit meinem schnellen Aufbruch aus dem Café noch in der Rechten hielt. Ich staunte, wie ruhig meine Hand war, als ich die beiden Gestalten am Rand der Brücke im Display einfing und auf den Auslöser drückte. Dann hupte wieder jemand, Julian sprang auf ein Auto und lief einfach über das Dach. Dann waren sie alle drei auf der Brücke und verschwanden aus meinem Blickfeld.
     
    Sie hatte wieder vom Laufen geträumt. Und nun war sie tatsächlich völlig außer Atem. Außerdem umklammerte sie etwas Kantiges, Kaltes, das penetrant nach altem Lack stank. Lack, der schon einige Male in der Sonne Blasen geworfen hatte. Darunter lag Rostgeruch. Als sie sich über die Lippen leckte, spürte sie, dass sie trocken wie Papier waren. Und ihre rechte Wange drückte gegen kühles, hartes Metall.
    Lag sie wieder auf dem Dach? Nein, sie … saß! Oder vielmehr kauerte sie irgendwo. Schlagartig kehrten ihre letzten Erinnerungen zurück. Sie war noch gar nicht zu Hause gewesen, sondern auf dem Weg zu Irves. Sie war durch die Stadt gelaufen. Und da war der Blonde. Und noch eine Gestalt und noch eine. Unglaublich schnell. Verfolger, die sie einkreisten, näher kamen. An die Gewissheit, sterben zu müssen, erinnerte sie sich am genauesten. Und an den einzigen logischen Gedanken in der Todesangst: Fliehen oder sterben. Und der Lauf saß ihr immer noch in den Knochen. Ihr Atem war ein Luftschnappen, kurz, abgehackt, panisch.
    Diesmal hatte sie sich nicht auf das Dach ihres Hauses geflüchtet. Unter ihr war … Rauschen? Wind strich über ihren Nacken und ihre Hüfte. Das war nicht gut.
    Sie öffnete die Augen nur kurz. Unwillkürlich drang ein Wimmern aus ihrer Kehle und ihr brach der Schweiß aus. Unter ihren Fingern knirschte Rost, als sie sich noch fester an den Pfosten klammerte. Der Schlüssel, den sie an einem Band um ihr Handgelenk trug, drückte gegen den Knochen. Ihre Hände pochten vor Schmerz, als wären sie aufgeschürft. Sie presste die Lider so fest zusammen, dass ihr schwindelig wurde. Das war das Ende. Unter ihr war der Fluss! Und sie selbst befand sich irgendwo auf der Brückenkonstruktion, gefangen in einem Spinnennetz aus Stahl, zwischen Verstrebungen und Plattformen, die kaum Platz zum Sitzen oder Stehen boten. Ihr Wimmern wurde heiser, fast ein Fiepen. Die Tränen hinterließen im Wind kalte Spuren auf ihren Wangen. Erst nach und nach wurde ihr das Unausweichliche ganz bewusst: Sie konnte ihre halb sitzende, halb hängende Position nur halten, solange sie sich mit aller Kraft festklammerte. Doch ihre Muskeln schmerzten

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