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Schattenauge

Schattenauge

Titel: Schattenauge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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altmodischen, ausgeleierten Jackett, auf dem ein Button mit dem Uni-Logo prangte. Auf erschreckende Weise ähnelte sein Raubtierblick dem des Blonden.
     
    Ich hatte meine Position im Café gegenüber von Rubios Wohnung bezogen, aber er ließ sich nicht mehr blicken. Selbst als es dämmrig wurde, blieb das Fenster dunkel. Ich hatte es ungefähr noch zwanzigmal auf seiner Handynummer probiert, aber natürlich hatte er sein Telefon ausgeschaltet. Immer noch konnte ich nicht fassen, dass er ein Gedächtnis hatte. Wenn es überhaupt stimmt , sagte meine kritische Stimme. Aber warum sollte er lügen? Die Vorstellung, dass es möglich sein sollte, war elektrisierend. So mussten sich Hunde fühlen, wenn sie eine Fährte aufgenommen hatten. Oder Todkranke, wenn plötzlich Aussicht auf Heilung bestand.
    Das Café war schäbig und roch schwach nach Kakerlaken. Der Flipper in der Ecke war mit fettigen Fingerabdrücken übersät. Ich dachte an die blonde Frau, die ich neulich gesehen hatte, und fragte mich, was sie wohl in eine solche Absteige getrieben hatte. Nun, ich fiel hier nicht weiter auf. Die Bedienung, ein sehr dünnes, großes Mädchen mit pink gefärbtem Haar und gepiercter Lippe, versuchte sogar mit mir zu flirten.
    Neben der Theke stand ein uralter PC, hier konnte man kostenlos surfen. Ich nutzte die Gelegenheit und verzog mich mit dem Kaffee, den ich nicht trinken würde, in die Ecke.
    Der Computer war so langsam, dass sich manche Ladebalken schon in den Bildschirm eingebrannt hatten. Aber ich fand tatsächlich einen Bericht über den Waterfield-Prozess und den Mord an dem Freigesprochenen. Und über den Expolizisten und Serienmörder Pablo Novarro, der von » einem Arzt in Notwehr mit seinem eigenen Messer « getötet worden war. » Der Arzt wurde beim Kampf mit dem Täter selbst schwer verletzt und erlitt eine Querschnittslähmung .« Elf Morde konnten Pablo nachgewiesen werden.
    »Hallo? Entschuldigen Sie, brauchen Sie noch lange?« Die ungeduldige Frauenstimme riss mich aus meinem Gedanken. Ich drehte mich um und sah blaue Augen hinter einer Designerbrille. Die Frau hatte sich wohl hierherverirrt. Maßgeschneiderter Hosenanzug, passend dazu Schuhe mit mörderisch hohen Absätzen und ein Schwall von Bergamotte-Zitrus-Parfüm. Der Kurzhaarschnitt stammte sicher vom teuersten Frisör der Stadt.
    Sie hob die Brauen, als sie mein verblühendes Veilchen sah. »Ich muss dringend an den Rechner«, sagte sie etwas freundlicher.
    Ich warf einen Blick auf die Uhr, nickte und räumte wortlos das Feld. Kurz vor der Tür summte mein Handy. Ich ließ es beinahe fallen, so hastig zog ich es hervor. Aber es war nur Gizmo. Wie immer ohne ein »Hallo«.
    »Nur eine Frage«, begann er. »Du bist doch so ein Läuferfan. Und das Mädche n …«
    »Zoë?« Ich blieb stehen. Die Bedienung, die mir eben noch zum Abschied zugelächelt hatte, sah plötzlich enttäuscht aus.
    »Ich weiß nicht, ob sie es ist«, sagte Gizmo. »Hat sie lange schwarze Haare?«
    Adrenalin. »Ja, hat sie! Was ist los?«
    Ein anerkennendes Pfeifen am anderen Ende der Leitung. »Gut reagiert«, murmelte er gedankenverloren. Kein Zweifel, er sah sich irgendetwas an.
    »Gizmo, verdammt! Spuck’s aus!«
    »Bist du in der Nähe eines Rechners?«
    »Ja!«
    »Gut, geh auf die Seite mit den Webcams. Klick die vom Kulturzentrum Alter Schlachthof auf. Ich glaube, da hat ’ne Jagd begonnen.«
    Ich fluchte und riss beinahe einen Stuhl um, als ich mit dem Handy am Ohr zum Computer hastete.
    »Hey!«, rief die Businessfrau empört, als ich sie einfach zur Seite drängte und mir die Tastatur schnappte.
    »Notfall«, zischte ich ihr zu.
    »Beeil dich«, hörte ich Gizmos träge Stimme. »In dreißig Sekunden aktualisiert sich das Bild. Dann ist die Show vorbei.«
    Meine Finger flogen über die Tasten, aber die Kiste war immer noch im Schneckenmodus. Als das Bild endlich auf dem Monitor erschien, zeigte der Countdown darunter bereits Sekunde acht an.
    Ich kannte das Eck, weil ich es mied. An einem meiner ersten Tage war ich in dieses Viertel gekommen und hatte gleich meine erste, ganz persönliche Kodex-Lektion von Nummer 1 (»Der Wrestler«) gelernt: In dieser Stadt gibt es Reviere. Also weiche vor dem Stärkeren oder er macht dich platt. Die Narben in meinem Nacken schmerzten manchmal immer noch.
    Der ehemalige Schlachthof war ein riesiger betongrauer Klotz mit einer weiß gestrichenen, fensterlosen Häuserseite, die im Sommer als Leinwand für das Open-Air-Kino

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