Schattenblicke - Thriller
Kopf summt etwas weniger.
Dafür merke ich plötzlich, dass meine Blase drückt. Und wie!
Schlagartig setze ich mich wieder auf. Mist, hier ist keine Toilette!
Auf einmal muss ich so dringend, dass ich das Gefühl habe, mir platzt gleich die Blase. Suchend sehe ich mich um.
Die Tür. Der Schrank. Das Waschbecken … das Waschbecken?
Und dann fällt mein Blick auf den Eimer darunter. Ich gehe hinüber und ziehe ihn unter dem Waschbecken hervor.
Der Eimer ist nicht aus Plastik, sondern aus einem anderen Material, von dem mir der Name nicht einfällt. Oma Jovana hatte Töpfe aus solchem Material, angestoßene, weiße, nie ganz saubere Töpfe mit abgeplatzten Stellen, aus denen dann dunkles Metall hervorlugte.
Komisch, ich war nur zwei- oder dreimal bei Oma Jovana, aber ich erinnere mich an so vieles aus diesen wenigen Wochen – oder waren es nur Tage? An ihre geblümten Kleider und ihre ausgelatschten Schuhe. An die vielen Spinnen überall im Haus, vor denen ich mich wie verrückt fürchtete. Überall hingen Spinnen herum, in jeder Ecke, kleine und große, das war echt übel.
Ich sehe mich rasch um, aber hier, in diesem Raum, in dem ich eingesperrt bin, kann ich keine Spinne entdecken. Ich meine, supersauber ist es hier auch nicht unbedingt, in den Ecken liegt eine kleine Staubschicht, und die Tapeten wirken beim genaueren Hinsehen auch nicht ganz reinlich, aber das ist schon okay. Bei Oma Jovana war es jedenfalls nicht besonders sauber, und sie hatte genau solche Töpfe wie der hier, der jetzt vor mir steht, und ich glaube, auch so einen ähnlichen Eimer, aber der war nicht weiß, der war blau, aus blauem … Emaille! Emaille heißt das Material, genau!
Und das hier vor mir ist ein Emailleeimer. Mit einem Deckel darauf. Und einer Rolle Klopapier darin. Graues, raues Klopapier. Solches, wie es bei uns in der Schule auch hängt. Mit dem man sich den Hintern wund reibt, deshalb nehmen wir auch immer Taschentücher; Daria, Birte und ich. Die anderen bestimmt auch, aber die hab ich nie danach gefragt.
Mieses graues Klopapier.
Schon wieder steigen mir die Tränen in die Kehle. Scheiße, wo in aller Welt bin ich bloß gelandet?
Und warum überhaupt?
Warum ausgerechnet ich?
Und was haben diese Leute mit mir vor?
Ich hole tief Luft und dränge die Tränen zurück. Und dann ziehe ich den Eimer noch ein Stückchen zu mir heran.
Als ich fertig bin, schiebe ich ihn wieder an seinen Platz und gehe zur Liege hinüber. Mit wackeligen Beinen setze ich mich hin. Und erst als ich sitze, merke ich, wie erschöpft ich bin. Letzte Nacht im Bus habe ich so gut wie gar nicht geschlafen.
Draußen scheint es jetzt ganz dunkel zu sein. Das Licht an der Decke ist immer noch an, und ich lasse es brennen. Irgendwie fühle ich mich sicherer damit.
Schließlich lege ich mich hin, ziehe mir die Decke über und schließe die Augen.
In meinem Kopf summt es.
Hinter meinen Augen ist Schatten und Licht zugleich.
Ich weiß nicht, wo ich bin.
Ich weiß überhaupt nichts.
Nur, dass ich Angst habe. Dass kein Mensch mich versteht. Dass niemand meine Sprache spricht und ich mich nicht die Bohne verständlich machen kann.
Und dass ich allein bin. Total allein.
So allein wie noch nie in meinem Leben.
Aber irgendwann gleite ich fort. Fort in den Schatten, tief in das Dunkel hinein.
Bis alles schwarz wird.
7 // Dienstagmorgen
Ein Geräusch. Ein Knarren. Oder nein: ein Rasseln.
Ich schrecke hoch und setze mich auf.
Blumen. Blumenmuster überall.
Ein Schrank. Ein Waschbecken.
Eingesperrt. Ich bin eingesperrt! Es war kein Traum. Ich bin tatsächlich eingesperrt.
Die Tür geht auf. Schwaches Licht fällt ins Zimmer, beleuchtet die beiden Gestalten, die jetzt erscheinen. Eine ist alt und geht gebückt, die andere ist nicht viel größer und jünger.
Die alte Frau. Und der Typ. Der Typ mit der Narbe.
Meine Kehle schnürt sich zusammen. Ich atme tief durch.
Die alte Frau ist ja dabei. Der Typ ist nicht allein.
Wenn er allein käme, wäre er gefährlicher. Oder?
Er trägt immer noch dasselbe wie gestern: dieselben Jeans, dasselbe verwaschene T-Shirt, dieselben Sneakers.
» Dobro jutro! «, ruft die alte Frau und lächelt mich an. Sie trägt erneut ein Tablett in der Hand, und der Typ trägt auch etwas: einen Tisch, so wie es aussieht. Einen viereckigen Tisch, den er jetzt keuchend in die Mitte des Zimmers schleppt und neben meiner Liege hinstellt.
Forschend sieht er mich an, dann lächelt er. » Mo’ning! «
Ich drehe den Kopf
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