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Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen

Titel: Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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entsetzten Augen sehen sie zu mir hoch, wie ich dort mit Lotti am Seil hänge und unter mir der Fässerturm kippt.
    «Raus!», brüllt Thursen sie an. «Schnell!» Sie gehorchen sofort. Drehen sich um und rennen zum Ausgang. Einfurchtbares Poltern, Rumpeln, Rollen, als die Wand unter uns wegbricht. Wir stürzen nach unten. Meine Arme rudern. Mein Herz rast. Bitterer Angstgeschmack auf meiner Zunge. Nichts unter mir. Dann beißt das Seil in meine Rippen. Meine Beine strampeln im Leeren. Thursen hat uns. Hält uns in der Schwebe, bis die Tonnen zur Ruhe kommen. Dann lässt er uns Stück für Stück herab. Ich kann nicht atmen.
    Irgendwann kommen meine Füße auf dem Boden auf. Meine Beine knicken unter mir weg. Mir ist so schwindelig! Das Seil drückt mir die Luft ab, und der Gestank ist furchtbar. In meinen Ohren rauscht es, alles dreht sich, und ich schließe die Augen.
    Wir leben. Tun wir doch, oder?
    Meine Hände tasten rauen Beton unter mir.
    Heil angekommen.
    Danke, Thursen.
     
    Etwas zerrt an mir. Ich blinzele. Ein Polizist will Lotti von mir lösen, aber Zrries Finger sind flinker. Fremde Hände schleppen Lotti und mich nach draußen. Wo ist Thursen? Sie zerren mich weiter, obwohl meine Beine nicht wollen. Endlich wieder Luft! Ich atme, als wäre ich tausend Tage unter Wasser gewesen. Und trotzdem strudeln die Gedanken in meinem Kopf herum, und ich kann keinen davon fassen.
    Die Polizisten wollten alles Mögliche von mir wissen, meinen Namen, wem die Hunde gehören, die die Halle bewacht haben, Lottis Namen, Anjas Telefonnummer, während die Sanitäter aus dem Krankenwagen Lotti Sauerstoff geben.
    Ich brauche keinen Sauerstoff. Muss nur ein paar Schrittegehen. Staksig umrunde ich ein verbeultes Fass, das wohl aus der Halle gerollt ist, und taste mich außen an der Wand entlang. Weg vom Eingang, um die Ecke herum, außer Sicht. Langsam rasten meine Gedanken wieder ein.
    Der Krankenwagen startet mit Blaulicht. Lotti kommt ins Krankenhaus. Wo ist Thursen?
    Etwas donnert. Laut übertönt es den Sturm. Diesmal kein Hallentor, das gegen die Wand schlägt. Da steht Thursen, ein paar Meter weiter neben einem Müllcontainer, und rammt seine beiden Fäuste gegen die Wand der Lagerhalle. «Nein!», schreit er. Schreit im Rhythmus seines Atmens. «Nicht auch noch Norrock!» Es donnert wieder. Diesmal nicht nur die Fäuste, diesmal schlägt er seinen Kopf an die Wand.
    So schnell ich kann, bin ich bei ihm. Ist er von den Dämpfen benebelt? Oder ist es bei ihm so wie bei Karr, der das Menschsein nicht ertrug?
    «Thursen!» Ich umklammere seinen Arm, rüttle ihn, damit er zu sich kommt. Ich ahne, wovon er spricht, Agnetha hat mir seine Geschichte erzählt. Er war später von der Schule nach Hause gekommen, an dem Tag, an dem seine Mutter viel zu viele Tabletten geschluckt –
    «Meine Mutter ist tot!», schreit er mir ins Gesicht. «Ich habe meine eigene Mutter sterben lassen, weil ich mit meinen Kumpels Fußball spielen musste!» Blut sickert ihm aus einer Platzwunde über der Stirn. Seine blassen Lippen, die großen, glühenden, dunklen Augen, so unwirklich hat er selbst als Wolf nicht ausgesehen! Es ist, als habe seine Rückverwandlung die Schuld wie ein wildes Tier in ihm freigelassen. Ein wildes Tier, das ihn von innen zerfleischt. «Ich bringe allen Unglück! Jetzt hat es auch noch Norrock erwischt!» Wieder hämmern die Fäuste.
    «Thursen!» Ich dränge mich zwischen ihn und die Wand. «Hör auf! Das alles ist doch nicht deine Schuld!» Ich packe seine Unterarme, aber er kämpft gegen mich an. Hebt mich fast mit hoch, als er seine Arme wegreißen will. Woher nimmt er die Kraft? Dann knallt er mich im Handgemenge mit dem Rücken gegen die Wand, dass mir die Luft wegbleibt.
    Ein Lederjackenarm schiebt mich beiseite. Norrock. Er ist viel schwerer und stärker als ich, fängt Thursens zerschlagene Fäuste, zwingt sie zur Ruhe und sieht Thursen ins Gesicht. «Sieh mich an!», brüllt er, «ich bin okay, Kumpel!»
    Nein, Norrock ist nicht okay, aber er lebt wenigstens. Das Blut aus der Schusswunde im Oberschenkel färbt seine Hose dunkel. Thursen kommt endlich zur Ruhe. Norrock lässt Thursen los, um sich mit der Schulter an der Wand abzustützen. Das Stehen fällt ihm sichtlich schwer.
    «Mach dich nicht selber fertig, Thursen!», keucht er, noch atemlos von dem kurzen Kampf.
    Thursen stützt sich mit gesenktem Kopf neben Norrock an der Wand ab. Sieht so verletzlich aus in dem blauen, ausgeblichenen Shirt, ohne seinen

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