Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen
ist offen. Quietschend und rumpelnd schiebt Norrock mit seiner Schulter das große eiserne Tor zur Seite. Dadrin soll Lotti sein? Das ist doch nichts zum Spielen! Staubiger Betonboden und rostrot gestrichene Fässer. Ich kann kaum was erkennen. Gehe vorsichtig hinein, ein paar Schritte, während die Wölfe schon in der Halle ausschwärmen. Jetzt rieche ich, wovon Sabrina uns erzählte. Ein Windstoß fegt herein und kann doch den Gestank nicht wegwischen. Keiner traut sich, richtig durchzuatmen. Es beißt in der Nase, brennt in den Augen. Was ist, verdammt nochmal, in den Fässern? Was ist das für ein Geruch? Norrock tritt ein Fass, das ihm im Weg liegt, mit dem Fuß beiseite. Es rollt davon und knallt an der gegenüberliegenden Wand dröhnend gegen einen Eisenträger.
«Vorsicht», ruft Thursen, eben war er noch Wolf, hebt die Hände. «Beim kleinsten Funken fliegt hier alles in die Luft!»
Explosiv auch noch? Ich frage nicht nach, traue Thursens Wolfsnase. Fluche. Wo ist Lotti?
«Alle raus! Los! Norrock? Ihr Wölfe bewacht das Gebäude. Keiner darf rein, klar? Wenn keiner reingeht, kann keiner was anzünden.» Oder sonst wie Funken schlagen, zum Beispiel, indem man Metallfässer gegen Eisenträger tritt, denke ich. Norrock wartet, dass alle aus der Tür sind, dann geht er selbst, lässt sich mitten in der Bewegung nach vorn fallen und springt als Wolf hinter den anderen her.
Wir lassen die Tür weit offen, damit man in der Halle atmen kann. Und Licht hat, denn die schmutzigen Oberlichter lassen nur ein mattes Licht herein.
Draußen vor dem offenen Tor kann ich die Wölfe sehen, wie sie flink hin und her laufen, von Norrock mit Knurren und Schnauzenstupsern dirigiert. Ich hoffe, er schickt sie an die Zufahrtswege, damit niemand uns überrascht. Er selbst bleibt, mit Zrrie und Rawuhn, am Haupttor.
Thursen lehnt mit dem Rücken an der Wand. Legt den Kopf zurück mit geschlossenen Augen, streicht sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Seine Hand zittert.
«Was ist?», will ich wissen.
«Nichts», sagt er und zwingt sich zu lächeln.
Er stößt sich mit dem Fuß von der Wand ab. Geht einen Schritt. Schwankend. Ich weiß, Mensch sein ist so schwer für ihn. Ich bin schon bei ihm. Schlinge meine Arme um seine Brust und drücke ihn an mich. Würde ihm so gerne etwas von meiner Kraft abgeben. Da zuckt er weg. Stöhnt und schiebt mich zur Seite. Krümmt sich und stützt sich mit der Hand an der Wand ab.
«Thursen!», keuche ich. «Was hast du?»
«Sorry», sagt er und öffnet seinen Mantel. Zieht sein Shirt hoch und zeigt mir den Bluterguss, der über die Rippen wächst. Tiefdunkel wie ein böser Schatten. «Da hat Norrock mich erwischt.»
Wie kann Norrock jemanden verletzen, den er seinen Freund nennt, nur um einen Machtkampf zu gewinnen? Ist der Schmerz, den er Thursen zufügt, egal, nur weil Werwolfswunden so schnell heilen?
Thursen fängt sich wieder, macht ein paar Schritte. «Lotti ist hier irgendwo», keucht er.
«Du bleibst da und ruhst dich aus!», befehle ich. Schiebe ihn vorsichtig mit ausgestrecktem Arm an die Wand zurück. «Ich suche.»
Und dann tauche ich hinein in die stickige Dämmerung der Lagerhalle. Ursprünglich hat hier wohl mal ein Berg Fässer gestanden, in der Mitte, damit man sie mit dem Gabelstapler umrunden kann. Jetzt stehen die Fässer links, hinten und rechts als Ringmauer, während vorn alles eingestürzt ist. Ein wilder, unüberwindlicher Haufen aus verbeulten Fässern. Ein paar davon sind bis an die Wände gerollt. Es sieht aus, als hätte im Supermarkt einer die untere Dose aus einer Konservendosenpyramide rausgezogen. Die Fässer sind verbeult und zum Teil aufgeplatzt. Eine durchsichtige Flüssigkeit sickert aus den Bruchstellen und bildet Pfützen. Verdunstet und brennt in der Nase. Was zum Teufel ist das? Die Fässer tragen keine Etiketten.
Liegt sie hier zwischen den Fässern? Eingeklemmt vielleicht?
«Lotti?», rufe ich, brülle, bis mir die Kehle brennt. Nichts. Keine Antwort. Der Hall wirft mir meine eigene Stimme um die Ohren, als lache er mich aus.
«Lotti?» Ich huste. Wohl keine gute Idee, hier drin so tief durchzuatmen. Trotzdem. Wo ist sie?
«Lotti! Ich bin es, Luisa!» Diesmal brennt es bis hinunter in meine Lunge, sodass ich hustend in die Knie gehe. Huste, huste, huste.
Plötzlich ist Thursen da, packt mich am Arm und zieht mich hoch. Schleppt mich zur Eingangstür, wo ich endlich wieder frische Luft bekomme.
Ich muss mich am Türrahmen abstützen und
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