Schattenbluete - Band 1 - Die Verborgenen
Ich verstehe und bin ganz leise.
«Danke, Lotti. Das war echt toll von dir. Ich muss nämlich dringend weg», flüstere ich zurück.
«Wieso?»
«Ich muss was für ein Mädchen kaufen.»
«Wie heißt die?», fragt Lotti. Zieht die Augenbrauen zusammen. Sie ist doch nicht etwa eifersüchtig?
«Gabriella.»
«Was willst du denn kaufen?»
«Eine Jacke.»
«Hat Gabriella Geburtstag? Gehst du auf eine Party?»
Eine Party? Ich fühle mich Lichtjahre von Lotti entfernt, als würde sie auf einem anderen Stern leben, einem Stern, wo man fröhlich ist und Partys feiert, wo hübsche Prinzessinnen in rosa Kleidern lachend mit ihren Prinzen Walzer tanzen. In meiner Welt dagegen wird gestorben, gefroren und getrauert. Nein, ich werde auf keine Party gehen.
Ich schüttele den Kopf. «Gabriella ist nur schrecklich kalt.»
«Hat sie denn nichts Warmes zum Anziehen?»
Ich schüttle wieder den Kopf. «Sie hat gar nichts.»
Lotti läuft in ihr Zimmer. Kommt atemlos zurück. «Gib das dem frierenden Mädchen, ja? Dann geht es ihr bestimmt besser.» Ein winziger Teddy mit wolligem Fell.
«Du bist lieb», sage ich.
«Jetzt schnell, Luisa!», sagt Lotti und nimmt mich an ihre kleine Hand. Ich stecke hastig den Plüschteddy in meine Jackentasche, als sie mich auch schon durch den Flur zur Wohnungstür zieht. Leise öffnet sie und schiebt mich hinaus. Dann stellt sie sich auf Zehenspitzen und flüstert mir ins Ohr. «Wenn du einkaufst, bringst du mir auch was mit?»
«Bestimmt», verspreche ich.
In dem Laden, dem riesigen Outdoor-Shop, zu dem ich will, war ich schon. Dort habe ich meine Jacke gekauft. Und wenn er gut ist für meine Jacke, dann auch für die von Gabriella. Die Glastüren gleiten summend zur Seite, lassen mich ein. Auf meinem Weg, an den Ständern mit Bekleidung vorbei, fällt mein Blick auf einen Jungen, der Kletterausrüstung ausprobiert. Ein paar Meter über den Regalen hängend, seilt er sich an einer Übungswand ab. Wenn ich so ein Seil gehabt hätte, als ich vom Balkon geklettert bin! Langsam komme ich näher, und schon stehe ich vor der Regalwand, an der die Seile aufgerollt hängen. So ein Seil, und niemand könnte mich mehr einsperren. Ich suche mir ein daumendickes Seil aus, richtig lang, sodass es bis zum Boden reicht, und zum Tragen einen Rucksack. Etwas Wäsche zum Wechseln. Wenn ich noch einmal ausdem Fenster klettern muss, das schwöre ich mir, dann komme ich nie mehr nach Hause zurück.
Es ist leicht, für Gabriella eine Jacke zu kaufen. Ich greife einfach ein Sonderangebot in der richtigen Größe. Die Jacke ist hellblau wie der Sommerhimmel, aber letztlich ist die Farbe egal. Ein paar Verwandlungen, und sie ist grau wie Thursens Mantel. Das Geld, das Norrock mir gegeben hat, reicht nicht für Gabriellas Jacke. Ich bezahle einfach alles zusammen, meine Sachen und ihre, und lege etwas mehr von meinem eigenen Geld dazu. Das besänftigt wenigstens mein schlechtes Gewissen. Ich kenne Gabriella gar nicht und lehne sie trotzdem ab. Nein, nicht sie. Es hätte kommen können, wer will. Ich hätte niemanden gemocht, niemand Neues, der kommt und Sjölls Platz einnimmt. Niemand, der kommt und bleiben darf, während Thursen mich weggeschickt hat. Warum darf sie Wolf sein und ich nicht?
Ich stopfe, was ich gekauft habe, in den Rucksack und verlasse den großen Outdoor-Shop. Auf dem Weg zum Bahnhof sehe ich im Schaufenster eines kleinen Ladens einen dieser Fensterkristalle. Bunt glitzernd bricht er das Sonnenlicht und lässt es in jeden Winkel des Raumes leuchten. Ich gehe schnell hinein und kaufe den Kristall für Lotti. Die freundliche Verkäuferin wickelt ihn in viele Lagen Papier, damit er nicht zerbricht. Ich bezahle und packe ihn ein. Licht und Farbe für Lotti. Welch ein Schatz in meinem Rucksack.
Gabriella mag die Jacke. Sie schlüpft hinein, schließt den Reißverschluss und zieht die Schultern hoch, sodass ihr der Kragen bis zu den Ohren reicht. Lässt sich hineinsinken wie in einen Kokon und zieht die kalten Hände in dieÄrmel. Dann läuft sie zu Norrock, um ihm ihr neues Stück zu zeigen. Heute sind ihre Haare schon ein wenig blasser als gestern, ihre Wangen weniger rosig.
«Lass mich raten», sage ich zu Thursen, als ich die leere Plastiktüte falte. «Ihr habt einen neuen Werwolf. Wann hat sie sich denn verwandelt?»
Thursen geht auf meinen aggressiven Ton nicht ein. «Heute Nacht.»
«Das ging aber schnell.»
«Wir tun alles, damit sie am Leben bleiben kann. Das ist leichter,
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