Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
Gemälde?
Jedenfalls ist Luisa sichtlich beeindruckt von unserem Wolkenheim. Ich finde es ja selbst noch jeden Tag seltsam, wie man durch die langen Gänge des schlafenden Hauses geht und dann in dieser Wohnung plötzlich Leben findet. Ein weiterer Sitz unseres Ordens, der, wie unsere Zentrale, perfekt vor den Augen der Allgemeinheit versteckt wurde.
«Was ist dahinten?», fragt Luisa und zeigt den Gang entlang, an dem unsere Zimmer liegen. Am Ende ist unser Trainingsraum, den sie mit seinen wunderlichen, viel zu schweren Geräten besser nicht zu sehen bekommt. Wahrscheinlich hätte ich sie die ganze Wohnung nicht sehen lassen dürfen. Doch noch ist nichts verloren, solange sie uns nur für eine etwas eigentümliche Studenten- WG hält.
«Da sind noch mehr Zimmer. Die meisten stehen noch leer. Soll ich dir eins zeigen?»
Ich gehe voran und öffne eine Tür. Der Raum wird beherrscht von einem riesigen Eichenschrank. Eine Erinnerung an die alten Zeiten dieses Gebäudes als Luxushotel. Jeder von uns hat ein altes Möbelstück in seinem Zimmer stehen. Tradition ist uns wichtig. Der Stuck an der Decke wurde restauriert und wie die Wände weiß gestrichen. Natürlich weiß, wir lieben diese Farbe, weil sie ein Maximum an Licht abstrahlt. Deshalb wohnen wir auch hier oben. Hier ist es am hellsten, weil tagsüber keine anderen Häuser Schatten werfen. Außerdem ist die oberste Etage dem Himmel am nächsten. Aber wenn ich Luisa das erzähle, würde sie mich vermutlich für ziemlich seltsam halten.
«Wohin führt diese Tür?»
«Dahinter ist das Bad.»
«Jeder hat ein eigenes? Mit Whirlpool?», staunt Luisa.
Ich öffne die schmale Tür, damit sie hineinsehen kann. Es ist nur ein einfaches, weiß gefliestes Bad.
Trotzdem ist sie beeindruckt. «Ziemlich luxuriös für eine Studenten- WG .»
«Essen ist fertig», ruft Adrian in diesem Moment. Ich bin ihm dankbar, denn so muss ich nicht erklären, woher das Geld stammt, das hier verbaut wurde. Als wir aus dem leeren Zimmer kommen, sehen wir Adrian schon ein Tablett zum Tisch tragen. Wir setzen uns zu den anderen. Mein Finger brennt immer noch. Wie dumm von mir, mit dem Messer abzurutschen. Wie dumm von mir, überrascht zu sein, dass Luisa einen Freund hat. Natürlich hat sie einen. Was habe ich denn erwartet?
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17. Luisa
Langsam scheinen sie sich an meine Anwesenheit gewöhnt zu haben. Adrian lässt sich sogar dazu herab, mir ein paar Fragen über die Schule und meine Arbeit im Krankenhaus zu stellen. Alle unterhalten sich, lachen, die Luft ist von Gewürzen erfüllt. Es ist, als würde alles Schwere und Anstrengende durch den Fahrstuhl im Erdgeschoss aufgehalten. Ich frage mich einen Moment lang, ob hier, wie in den alten Legenden vom Feenreich, die Zeit langsamer läuft.
Aber als ich auf die Uhr schaue, ist es schon viel später, als ich angenommen habe. Elias bringt mich nach Hause. Wir fahren wieder über die Stadtautobahn. Müde drehe ich an meiner Kette und denke an Thursen.
Kurz streift mich Elias’ Blick. «Ist die von deinem Freund?»
Ich lasse die Kette fallen. «Wie kommst du darauf?»
Er lächelt. Hat die Aufmerksamkeit schon wieder auf den dunklen Golf gerichtet, der so knapp vor uns einschert, dass ich schon Angst habe, unsere Stoßstangen würden sich berühren.
«Du hast so verträumt ausgesehen.»
«Die Kette ist tatsächlich von meinem Freund.» Von meinem Freund, dem ich in letzter Zeit immer weniger wichtig zu sein scheine. Jedenfalls verbringt er seine Zeit lieber woanders als mit mir. Aber das ist eine Sache zwischen Thursen und mir.
Ich sehe den Autos vor uns zu, wie sie sich wie Schwarmfische umeinanderschlängeln und viel zu dicht hintereinander über die Autobahn rasen. Die Fahrbahn ist von schwarzer Nässe bedeckt. Aufgewirbelt von den Autoreifen, macht sie die Scheiben blind. Die Scheibenwischer kommen kaum dagegen an.
Elias guckt in den Rückspiegel, blinkt, als alles frei ist, und ordnet sich links ein. «Ich fand es toll, dass du dich überwunden hast, heute wieder ins Krankenhaus zu gehen.»
«Ich konnte die Kinder ja nicht enttäuschen», sage ich und denke gleichzeitig, dass ich noch nicht so weit war. Ich dachte, ich könnte Krankenhäuser wieder ertragen, aber damit lag ich falsch.
«Genau deshalb gehe ich auch immer hin. Es stimmt nicht, dass man nichts tun kann. Man kann anderen Menschen helfen.»
Ja, und man kann so viel Leid der anderen in sich aufsaugen, bis man daran erstickt.
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