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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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sich noch mal zu mir um. Umarmt mich. «Vergiss mich nicht, Luisa», murmelt er neben meinem Ohr. Und ist so schnell weg, dass ich ihm nicht einmal sagen kann, wie sehr ich ihn vermisst habe.
    Ich gehe zurück in mein Bett. Und als hätte Thursen mich mit seiner abgrundtiefen Müdigkeit angesteckt, schlafe ich auf der Stelle ein.
    In dieser Nacht träume ich von meinem Bruder. Fast wie einer dieser schrecklichen Träume, die ich in den ersten Wochen nach seinem Tod hatte. Fabian liegt in seinem Krankenhausbett, blass und mit spitzem Gesicht, dunkle Schatten unter den Augen. Die Instrumente neben seinem Bett blinken und piepen, als seien sie lebendiger als er. Da erwacht er auf einmal zum Leben. Zu einem unwirklichen, grotesken Leben. Er weint, schreit mich an. Macht mir Vorwürfe, dass ich ihn allein lasse, immer allein. Dabei ist er doch tot. Weiß er das denn nicht?
    Er ist da, voller Tränen, fast greifbar, doch als ich die Hand nach ihm ausstrecke, kann ich ihn nicht berühren. Nie kann ich ihn berühren!
    Er muss mich gehen lassen, darf nicht auf mich warten. Denn er ist tot! Auch wenn er ständig nach mir ruft, er ist tot! Ich habe ihn doch gesehen, ich war an seinem Grab.
    Das Grab. Es ist wieder Dezember, und ich fühle den Regen, der mir ins Gesicht weht. Da ist der kalte, nassdunkle Grabstein mit seinem Namen. Kalt und eckig fühlt sich die eingemeißelte Steinschrift an. Davor liegen glasig bleich die vom ersten Frost erfrorenen Blumen.
    Und als ich aufwache, ist es nicht der Regen, sondern meine Tränen, von denen meine Wangen nass sind. Einen Moment lang habe ich wirklich geglaubt, ich könnte meinen Bruder irgendwo finden. Doch er ist tot. Ich kann ihn nicht zurückholen. Und trotzdem bohren sich seine Vorwürfe wie spitze Eiszapfen in mein Gewissen.
    Um wenigstens irgendetwas für Fabi zu tun, versuche ich, mich auf die einzige Art um ihn zu kümmern, die mir noch bleibt. Zu seinem Grab gehen kann ich nicht so einfach, es ist viele hundert Kilometer entfernt auf dem Friedhof in Hamburg. Doch es gibt noch einen anderen Ort, wo ich zumindest ein Stück von meinem Bruder finden kann. Der Trauerbaum im Grunewald, in den Thursen Fabis Namen geschnitten hat. Viel zu lange schon war ich nicht mehr dort.
    Es ist noch dunkel draußen, aber ich kann keine Minute mehr in meinem kalten Bett liegen bleiben.
    Draußen lasse ich mein Gesicht im Kragen versinken und die Ärmel über meine Hände rutschen. Morgendämmerung, was für ein schönes Wort. Doch das hier ist keine, das ist nur ein fauler Wintertag, der sich keine Mühe gibt, rechtzeitig hell zu werden. Der die Menschen auf ihren Wegen im Zwielicht sich selbst überlässt.
    Ich gehe durch die Straßen und tauche schließlich hinab in die unwirklich beleuchtete U-Bahn-Welt. Lasse mich nach Süden schuckeln. Ich schaue aus dem Fenster und sehe im Glas doch nur noch einmal das U-Bahn-Innere. Andere Menschen, die wie ich den Blick ins Leere richten, um niemandem in die Augen sehen zu müssen. Als wir aus dem Untergrund nach oben fahren, wird es ein bisschen besser. Jetzt kann mein Blick den vorbeihuschenden Baumskeletten nachsehen. Bis endlich mein Halt kommt.
    Am Bahnhof will ich noch Blumen kaufen, um sie am Trauerbaum abzulegen.
    Der Blumenladen hat noch gar nicht aufgemacht. Trotzdem steht die Tür offen. Eine bekittelte Frau wischt die Bodenfliesen mit einem schmuddeligen Mopp. Ich trete ein. Kühl ist es im Laden, feuchtkalt, grünkalt. Es fühlt sich nicht nur so an, es riecht auch wie das Gemüsefach eines Kühlschranks.
    «Suchen Sie sich ruhig schon was aus, ja?», sagt die Frau mit dem Mopp. Aus den weißen Plastikkübeln mit Schnittblumen sammle ich mir Blüte für Blüte zusammen. Die Blumenfrau, die inzwischen mit Wischen fertig ist, bindet sie für mich zum Strauß, dass die Stängel abstehen wie ein Krinolinenrock, und wickelt sie in einen ganzen Packen Papier ein, «damit sie die Kälte draußen überleben, auf dem Weg nach Hause», wie sie sagt. Überleben, wofür, denke ich. Ich sehe ihren geröteten Händen zu, die Stück für Stück Klebefilm von dem grünen Abroller auf dem Tisch reißen und knisternd mein Blumenpaket verschließen. Ich bezahle die Blumen und stehe dann wieder in der Winterkälte.
    Noch ein Stück mit dem Bus, dann steige ich aus, mitten im Nichts. Mein Blick geht suchend über die kahlen Stämme. Ich finde die Stelle, an der ich den Wanderweg verlassen muss, schiebe mich durch das Gestrüpp und schütze mit vorgehaltener

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