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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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Hand die Blumen davor, abgeknickt zu werden. Es ist immer noch nicht richtig hell. Da ist der Hügel, über den ich steigen muss, dahinter die Senke.
    Diese Stelle im Wald ist mir immer noch so vertraut. Ich war so oft hier, dass sie mir trotz Nässe und Kälte wie ein zweites Zuhause vorkam. Hier war das Wolfslager. Die Höhle unter dem Brombeergebüsch verborgen, von Sjöll und mir mit Laub gepolstert. Davor haben wir um Sjölls Windlicht, eine Kerze in einem alten Schraubglas, gesessen und Karten gespielt. Jetzt ist alles verlassen. Die Wölfe sind fort. Ich durchquere die Senke und steige am anderen Ende wieder hinauf zu den Trauerbäumen. Fabis Baum, die schlanke Buche, in deren Stamm Thursen den Namen meines Bruders geritzt hat. Karrs Baum und noch weiter rechts der von Sjöll.
    Doch etwas passt nicht. An Sjölls Baum flackert ein Licht. Misstrauisch nähere ich mich. Es sieht aus, als ob Sjölls zerkratztes Schraubglas da am Fuße des Baumes auf einem flachen Stein steht. Ist der Ort doch nicht so verlassen, wie ich dachte? Ich lege meine Blumen auf den Boden und nehme das Windlicht vorsichtig in die Hand. Im Glas brennt eine Kerze, nur noch ein kleiner Stummel. Sjöll! Das verdammte Windlicht bringt alle Erinnerungen zurück. Meine Augen brennen, Tränen laufen über meine Wangen, und ich kann es nicht ändern. Wie gerne hätte ich Sjöll zur Freundin gehabt.
    «Stell das Glas hin!», befiehlt eine Frauenstimme hinter mir, kalt und eisig wie Stahl bei Frost.
    Ich erschrecke mich, halte das Glas schief, die Kerze tropft, flackert.
    «Wehe, du lässt das Licht ausgehen!», grollt die Stimme.
    Ich tue, was sie sagt. Hocke mich vorsichtig hin. Als ich das Windlicht abgestellt habe und mich umdrehe, stehe ich einer fremden jungen Frau gegenüber. Ich blinzele, weil ich wegen der Tränen nicht richtig sehen kann. Hinter der Frau steht ein Mann. Wer zum Teufel sind sie? Ohne jedes Geräusch waren sie auf einmal da.
    «Was willst du hier?», fragt die Frau und gibt meinem Blumenstrauß einen Tritt. Ihr Begleiter kniet vor dem flachen Stein und erneuert die Kerze in Sjölls Glas. Aber ist es überhaupt Sjölls Glas? Und was wollen die beiden hier?
    Ich wische mir mit dem Ärmel über die Augen. Langsam verjagt meine Wut die Trauer. «Ich würde lieber wissen, was ihr hier an Sjölls Baum macht», sage ich. Will meine Blumen aufheben, aber die Frau stellt sich mir in den Weg.
    «Wenn du frech wirst, rufe ich meinen Hund!», knurrt sie. Ihr Begleiter richtet sich auf, das Licht in den Händen. Er ist winterblass und seine Jacke staubgrau. Er könnte gut der Wolfsmann sein, den ich aus dem Fenster des ‹Wintergartens› gesehen habe. Der, der mit Thursen geredet hat und Krestor an der Leine hatte. Seine Mütze hat die gleiche Form, auch wenn sie inzwischen nicht rot ist, sondern grau. Jetzt überreicht er der Frau das Windlicht. Sie nimmt es mit einer fast feierlichen Geste und betrachtet die Flamme. Endlich kann ich sie richtig sehen. Das Licht der Kerzenflamme tanzt über ihr bleiches Gesicht, huscht über die Schatten, lässt ihre kurzen, metallgrauen Haarsträhnen schimmern, als seien sie lebendig. Hose und Jacke sind schwarz, um den Hals hat sie ein Fransentuch geschlungen. Jetzt, wo meine Augen wieder klar sind, bin ich mir sicher, was die beiden sind. Ich habe schon zu viele Werwölfe gesehen, um es nicht zu erkennen.
    «Du rufst deinen Hund? Du meinst wohl, dein Freund hier verwandelt sich. Ich weiß, was ihr seid! Jetzt gib mir meine Blumen wieder, die sind für meinen Bruder!»
    «Wenn du weißt, was wir sind, Mädchen, dann wüsste ich gerne, was du bist!» Sie gibt dem Mann das Glas, verwandelt sich im selben Moment in einen Wolf, springt mich an. Ich reiße den Arm hoch, will mein Gesicht schützen. Sie erwischt meinen Arm mit den Zähnen und stößt mich rückwärts zu Boden. Steht über mir. Ich spüre, wie sich die Spitzen ihrer Fangzähne durch meine Jacke bohren. Ich traue mich nicht zu atmen, aus Angst, dass sie mir den Arm bricht. Ihr Fell ist gesträubt. Sie knurrt mich an. Diesmal ist Thursen nicht da, um mir zu helfen.
    «Hör auf, Haddrice!», sagt der Mann, Sjölls Licht hat er wieder an den Baum gestellt. Er klopft ihr auf den Rücken, zaghaft, als hätte er Angst, auch gebissen zu werden. «Du weißt, was Norrock gesagt hat.»
    Sie zuckt nicht mal. Schließt ihre Kiefer wie eine Zange, dass ich aufschreie vor Schmerz.
    Ein Knurren noch, dann schüttelt sie sich, das Fell verschwindet, und sie

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