Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
knallt mit voller Wucht gegen die Wand. Mir bleibt nur Zeit, meine Papiere mit nichtssagenden Ausdrucken zu überdecken. Ich muss mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer das ist. Von den Shinanim würde niemand wagen, ohne zu klopfen mein Zimmer zu betreten. Nur Luisa.
Ich stehe auf und drehe mich um. Natürlich ist sie es, und eisige Wut blitzt aus ihren Augen.
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23. Luisa
«Elias, ich muss mit dir reden! Sofort!» Sein Zimmer ist fast wie meins. Die gleichen hohen, weißen Wände. Er steht neben seinem Schreibtisch vor dem dunklen Bogenfenster.
«Wollen wir uns nicht setzen?», fragt er und weist auf die Couch bei der Tür. Seine Stimme ist ruhig, viel ruhiger, als ich es bin.
«Nein», sage ich laut. «Ich will mich nicht setzen!» Erst als mir bewusst wird, dass uns jeder der anderen hören kann, schlage ich die Tür zu.
Das geht nur uns beide etwas an. Mit wutschweren Schritten stampfe ich auf ihn zu. Und als er mich immer noch aufmerksam und kein bisschen schuldbewusst ansieht, wird mir klar, dass er keine Ahnung hat, keine Ahnung von dem, was ich sagen will.
Oder ist es ihm egal? Obwohl ich am liebsten losheulen, ihn am liebsten rückwärts durch das Fenster werfen würde, zwinge ich mich, ruhig zu bleiben.
«Ich war heute im Krankenhaus», sage ich.
Auf Elias’ Schreibtisch liegt ein grüner unregelmäßiger Glasklumpen von der Größe einer Faust. Ich nehme ihn, halte ihn gegen das Licht der Deckenlampe und sehe hindurch. «Ich habe alles gemacht wie sonst.»
«Nicht fallen lassen, das ist zerbrechlich!», sagt Elias.
«Was ist das?» Das Licht der Deckenlampe bricht sich in dem Grün des Glasbrockens, wird darin gefangen. Wenn man durchschaut, sieht alles aus wie unter einem bösen, grünen Zauber.
«Nur Glas. Grünes Flaschenglas. Na ja, das soll Kryptonit sein», höre ich Elias hinter mir. «Du weißt schon, der Stoff, der Superman die Kräfte raubt. Ich habe früher die Supermancomics geliebt, und da hat mir jemand diesen Glasbrocken geschenkt.»
«Jemand, der dir wichtig ist?»
«Ja», sagt er und lässt den Klumpen in meiner Hand nicht aus den Augen.
«Ich gehe nicht mehr ins Krankenhaus. Nie wieder.»
«Warum nicht?»
«Weil sie tot ist! Paulina ist gestorben! Die Kleine, für die ich die Karten aus deinem Stapel gezogen habe!
Was ist deine Lieblingszahl?
Erinnerst du dich? Ich klopfe und gehe nichts ahnend rein, und da sitzt die Mutter am Krankenhausbett, und ihr Gesicht ist leer, als wäre sie auch mit gestorben. Hält die Hand von dem kleinen toten blassen Wesen! Sie ist gestorben, während ich zwei Zimmer weiter Luftballonfiguren geknotet habe!»
«Das tut weh, aber glaub mir, es wird besser.» Er blinzelt nur einmal kurz, als ich den Glasbrocken mit voller Wucht auf den Tisch knalle. Schafft es tatsächlich, ruhig zu bleiben, obwohl ich sein Kryptonit schrotten wollte!
«Wird es, ja? Das kannst du ja sicher beurteilen!» Verdammt, warum wird er nicht wütend? Ich brauche jemanden zum Streiten, zum Anschreien, damit ich diesen verdammten Schmerz nicht so spüre! «Elias, du hast mich voll ins Messer laufen lassen! Du hast mir gesagt, das Krankenhaus sei gut für mich! Ich könnte da lernen, meine Trauer und meine Angst vor dem Tod zu überwinden. Und was ist jetzt? Alles, meine ganze Angst, ist wieder da und schlimmer als vorher!»
«Doch, Luisa. Es wird besser. Versuch einmal, jemandem zu vertrauen.»
«Sagst du! Vertrauen! Warum soll ich dir vertrauen, Elias?»
Er hält meinem Blick stand. Kein Schuldbewusstsein, nur große Ruhe liegt darin. «Tu es einfach. Nimm deinen Mut zusammen und vertrau mir. Wie auf dem Dach, erinnerst du dich? Da hast du mir doch auch vertraut.» Er legt mir die Hand auf die Schulter. «Oder nicht?»
Vertraue ich ihm? Kenne ich ihn dafür überhaupt gut genug? Ich fühle seine Hand auf meiner Schulter, blicke in seine blauen Augen wie in eine Kristallkugel und suche doch die Antwort in mir selbst. Ist es vernünftig, sich wieder und wieder wehtun zu lassen? Soll ich ihm vertrauen, ihm glauben, dass jeder weitere Schmerz geringer ist als der vorherige? Dass das Leben langsam erträglich wird? «Elias –»
Doch ich habe keine Zeit zu antworten. Denn in diesem Augenblick fliegt die Tür auf, und Thursen steht im Zimmer. Elias lässt mich los, fährt zu Thursen herum. Wo kommt er her? Was macht er hier?
Thursen, der dunkle Tänzer, schnell und gefährlich, belauert seinen Gegner. Elias steht ruhig da, abwartend, lässt
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