Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
tragen das Ratsmitglied und seine eifrige Assistentin wie ein Wappenschild vor sich her. Natürlich wollen sie sofort mit mir sprechen, mir, dem Verantwortlichen, denn alles andere wäre Verschwendung ihrer kostbaren Zeit. Mich amüsiert der väterlich-freundliche Tonfall, in dem Josias sich danach erkundigt, wie wir mit diesem versteckten Wohnort zurechtkommen und ob er unseren Ansprüchen genügt. Natürlich interessiert ihn die Antwort nicht wirklich. Helena und Josias wollen weder mit Shinanim aus unserer Gruppe sprechen noch unsere Pläne für die Zukunft erfahren.
Die anderen halten sich im Hintergrund, nur Adrian ignoriert Josias’ und Helenas abweisende Haltung und gesellt sich zu uns. Ich mag Adrian. Er ist offen, loyal und lässt sich seine Meinung von niemandem vorschreiben. Aber leider bedeutet das auch, dass er der in der Gruppe ist, der sich am meisten durch Respektlosigkeit auszeichnet. Ich mache ihm heimlich ein Zeichen, dass er den Mund halten und verschwinden soll.
Natürlich tut er es nicht. «Josias, Helena! Wie gut ihr wieder ausseht, immer noch frisch und jugendlich wie Novizen! Und so aktiv! Kaum sind wir hier in unsere neuen Räume gezogen, stattet ihr uns sogleich einen Besuch ab. Da fragt man sich natürlich», sagt er, und ich wünschte, ich könnte ihm unbemerkt kräftig auf den Fuß treten, «ob ihr nicht vielleicht gerne eine Erfrischung hättet?»
«Kaffee wäre gut.» Helena mustert Adrian. Die Missbilligung für diesen jungen Shinan, der ihr im Rang so weit untergeordnet ist und es dennoch wagt, sie anzusprechen, steht ihr ins Gesicht geschrieben. Auf dem Weg zur Küche wirft Adrian mir einen augenzwinkernden Blick zu. Na warte, denke ich. Wir beide werden zu reden haben, wenn unsere Gäste gegangen sind!
Nachdem Josias und Helena an unserem Tisch Platz genommen haben, kommen sie endlich zum wahren Grund ihres Besuchs. «Wir haben Informationen darüber erhalten, dass du einem fremden Mädchen erlaubst, hier zu wohnen», sagt Helena und faltet ihre Hände vor sich auf dem Tisch wie zum Gebet. «Einem Mädchen wohlgemerkt, das überhaupt keinerlei Verbindung zu den Shinanim hat.»
Josias, sich stets seines Rangs bewusst, muss natürlich das letzte Wort haben. Er richtet sich im Stuhl auf. «Bevor wir urteilen, möchten wir dich bitten, dazu Stellung zu nehmen.»
Ich versuche, angesichts dieses Schauspiels ernst zu bleiben. «Ich gebe euch mein Wort, dass das Mädchen nichts ahnt von dem, was in diesen Räumen wirklich passiert. Luisa verbringt die meiste Zeit in der Schule oder in ihrem Zimmer», sage ich mit leichter Verneigung. Verneige mich vor seinem Rang, nicht vor seiner Person.
«Sie weiß also wirklich nicht, dass ihr nicht ihresgleichen seid?», bohrt Helena nach.
Diesmal kann ich es mir nicht verkneifen, wenigstens zu lächeln. «Doch, sie hat inzwischen mitbekommen, dass wir kein Fleisch essen. Zum Glück macht es ihr nichts aus, ebenfalls darauf zu verzichten.»
«Das ist ja auch das mindeste», sagt Josias. «Mit Menschen, die grundlos unschuldiges Leben nehmen, mag wohl keiner von uns am Tisch sitzen.»
«Natürlich nicht, Josias.» Wenn er nicht solche Macht im Orden hätte, würde ich ihm ins Gesicht lachen.
Adrian bringt Kaffee und einen Krug kühles Wasser.
Helena rührt Milch in ihren Kaffee, während Josias seine faltigen Lippen am Wasserglas befeuchtet. «Der Rat hat im Übrigen bereits weitere Kandidaten gefunden, die sich um eine Ausbildung in deinem Projekt beworben haben und geeignet erscheinen. Die Zimmer werden sich bald füllen!»
«Es wird uns eine Freude sein, sie aufzunehmen.»
Ich weiß, was Josias damit sagen will: Wir sollen Luisa so schnell wie möglich loswerden. Aber ich nehme die Ankündigung gelassen. Es stehen noch genug Räume leer. Wir werden Luisa nicht hinauswerfen müssen, bevor sie zu ihrer Mutter zurückkann.
«Wenn ihr mehr seid, könntet ihr auch anfangen, euch endlich euren so ehrgeizig gesteckten Zielen zu nähern», sagt Josias hinterhältig. «Wo wir gerade darüber sprechen: Gibt es denn schon erste Erfolge, die wir dem Rat berichten können?»
Was soll diese Frage? Nach so kurzer Zeit kann der Rat nicht ernsthaft vorzeigbare Resultate erwarten. Wird das hier wieder ein Machtspielchen? Will Josias mir zeigen, dass er mir übergeordnet ist? Dabei hätte er selbst ganz sicher nicht den Mut, junge Shinanim wieder ihrer Bestimmung gemäß zu Schutzengeln auszubilden!
«Gib uns noch ein wenig Zeit, und wir werden euch
Weitere Kostenlose Bücher