Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter
dachte, das wäre nicht so tief gegangen. Weißt du, ihr wart nicht gerade die Turteltäubchen.»
«Sjöll und ich, wir wissen beide, was zwischen uns war, das reicht doch wohl, oder?»
«Und sie ist für Karr gestorben.»
Norrock zuckt die Achseln. «Sie hatte ihn gern. Er war wie ein kleiner Bruder für sie. Wärst du nicht für deinen kleinen Bruder gestorben?»
«Ja. Aber man hat mich nicht wählen lassen.»
«Mich auch nicht. Ich wäre für Sjöll gestorben, glaub mir. Aber ich war verdammt noch mal zu weit weg.» Norrock drückt die leere Blechdose in seiner Hand zusammen. Knickt den Deckel hinein und kickt beides in den Wald, wo es raschelnd im Laub landet. «So», sagt er und reibt seine Hände aneinander. Trotzdem kann ich das Salz immer noch riechen, mein Geruchssinn ist nach der zweiten Verwandlung, mag sie auch noch so kurz gewesen sein, so viel wacher.
Auf einmal krümmt Norrock sich zusammen und lehnt sich mit der Schulter an den nächsten Baum. Seine geballten Fäuste werden dunkel, der Schatten schiebt sich seine Arme hinauf. Er schließt die Augen, die in dunklen Schattenteichen liegen, Schatten, die die Wangen herunterrinnen zum Hals. Seine Lederjackenarme werden struppig vor Fell, da schlägt er die Fäuste voller Wut gegen die Rinde. Einmal. Zweimal. Dann ist es vorbei. Er sieht wieder wie ein Mensch aus.
Meine Güte, ich dachte, er stirbt auch gleich, wie Krestor. «Was war das?»
Norrock betrachtet seine blutenden Fäuste, an denen die Schrammen sich bereits zu schließen beginnen. «Ich habe nicht mehr viel Zeit. Das Menschsein wird immer schwerer.»
«Dann lass es.» Hör auf, das Rudel in deine Schlacht zu führen, will ich sagen.
«Das Rudel folgt mir nur, wenn ich mich verwandeln kann. Ich bin nicht Thursen. Wenn ich zu lange Wolf bleibe, werden sie nicht darauf warten, dass ich noch mal Mensch werde. Aber bis Sjöll gerächt ist, halte ich schon noch durch.»
«Dann lässt du mich nicht versuchen, dich zurückzuverwandeln?»
«Nein, bestimmt nicht. Warum auch? Ich habe ja kein Menschenmädchen, das auf mich wartet. Mein Mädchen wartet auf etwas ganz anderes.» Er reibt sich das Blut von den schon wieder heilen Händen, schüttelt sich, als könnte er so die letzten Reste Fell loswerden.
«Ich wäre mir nicht so sicher, ob Sjöll dein Rachefeldzug wirklich gefallen würde, wenn sie davon wüsste.»
Er zieht einen Mundwinkel hoch, kein echtes Lächeln. «Glaub mir, es gefällt ihr. Sie will auch, dass Nick bestraft wird.»
«Woher willst du das wissen?»
«Guck mal hier.» Es ist eine von Sjölls Zeichnungen. Ein Gesicht mit Bleistift gezeichnet. Dieses Gesicht kenne ich. Es ist der Junge aus der Bahn. «Das ist der Typ, der Elias verprügeln wollte!»
«Diesen Engelskerl? Woher weißt du das denn?»
«Ich war dabei und habe ihm geholfen. So haben wir uns kennengelernt.»
«Du hast ihm geholfen? Du ihm? Das ist echt toll!»
«Woher sollte ich denn wissen, was er ist?»
«Ja, schon klar. Also müssen wir uns wohl ein wenig beeilen, damit dein Elias uns nicht zuvorkommt. Nicht dass er Nick noch aufspürt und wegsperren lässt, bevor wir ihn zu fassen kriegen.»
«Vielleicht hätte Sjöll lieber, dass Elias sich darum kümmert und Nick vor ein normales Gericht kommt?»
«Nein. Sjöll will, dass Nick ein für alle Mal gestoppt wird.»
«Und das liest du aus einer Zeichnung?»
«Ich habe sie gefragt.»
«Sjöll ist tot, Norrock!»
«Eben. Und sie war auch deine Freundin, da solltest du dich schon ein bisschen für sie ins Zeug legen. Pass auf, Luisa, ich will ja gar nicht, dass du selbst jemanden tötest. Du musst dir die Hände nicht schmutzig machen. Ich will nur, dass du deinen lieben Elias davon abhältst, mit seinen Freunden zur falschen Zeit am falschen Ort aufzutauchen und sich einzumischen. Alles klar?»
«Er ist nicht ‹mein Elias›.»
Norrock grinst. «Nach dem, was Thursen so erzählt, wär er das aber gerne.»
«Und wenn. Er ist nett, und er weiß, dass zwischen uns nichts läuft.»
«Ach, Luisa, du Schäfchen.» Er legt seinen Arm um meine Schultern. «Ich stelle mir das so vor: Du flirtest ein bisschen mit ihm, lenkst ihn ab, sorgst dafür, dass er nicht draußen rumrennt, und wir lösen in der Zeit das Problem mit Nicks Bande.»
«Ihr tötet sie alle, meinst du. Der Junge im Tegeler Forst hatte eine Narbe im Gesicht, genau wie mein Bruder! Meinst du nicht, der hat vielleicht auch eine Schwester, die ihn vermisst?»
«Luisa, weißt du, woher der
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