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Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter

Titel: Schattenbluete - Band 2 - Die Waechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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der Jacke, die ohne Zweifel von denen stammt, die ich an Fabis Baum fallen gelassen habe, und hält sie mir hin. Es ist eine schwarze Blüte, denn als er auf dem Weg hierher Wolf wurde, hat sich auch die Blüte mit ihm verwandelt. Wie Sjölls Blume damals.
    Soll ich sie nehmen? Das würde unseren unseligen Pakt besiegeln. Was, wenn Norrock wirklich die Wahrheit sagt? Ich hätte noch vor einem Jahr geschworen, dass es keine Werwölfe gibt, keine Menschen, die sich in Tiere verwandeln können. Und es gibt sie. Es gibt sie ebenso wie Nachfahren der Engel, die unbemerkt zwischen uns leben. Vielleicht lügt Norrock nicht. Vielleicht ist mein Bruder ganz nah. Doch eins weiß ich weiß, ohne Gegenleistung wird Norrock mir meinen sehnlichen Wunsch nicht erfüllen. Er gibt mir die eine Chance, nicht ganz Abschied nehmen zu müssen, wenn ich ihm das gebe, was er am meisten will: Rache für die, die er geliebt hat. Ich wünsche mir so sehr, dass er nicht lügt!
    Ich nehme die Blüte. Tränen rinnen über mein Gesicht wie ein heißer Sturzbach, Tränen wie schon lange nicht mehr.
    Norrock winkt mit dem Handy. «Ich lasse es dich wissen, wenn Nick seinen kleinen Film wiederhaben will. Glaub mir, er mag bestimmt gar nicht, wenn so ein Video in falsche Hände gerät. Und seine Nummer ist sogar eingespeichert. Wir müssen ihm also gar nicht mehr auflauern. Wir brauchen ihn nur anzurufen, und er kommt zu uns.»
    «Du gehst wirklich ins Totenreich und sprichst mit Sjöll, nicht?»
    «Manchmal», sagt er. Faltet die Zeichnung und steckt sie in meine Tasche. «Kleine Erinnerung.»
    Ich nicke. Mehr muss ich nicht tun. Ich nicke, akzeptiere seinen Plan und bin eine Verräterin.
    Ich beeile mich, aus dem Wald zu kommen. Ich muss weg, bevor ich zu lange darüber nachdenke, was ich jetzt tun werde.
    Und vor allem muss ich weg, ehe ich Thursen ins Gesicht sehen muss. Er hat mich durch meine Trauer begleitet, meinen Verlust. Er wusste doch am besten, was es für mich bedeutete, nie wieder mit meinem Bruder sprechen zu können. Und Thursen hat mir nicht ein einziges Mal gesagt, dass es einen Weg gibt, Fabi wiederzusehen. Als Leitwolf muss er davon gewusst haben, genau wie Norrock. Warum hat er es mir nie erzählt? Warum hat er mich gezwungen, meinen Schmerz zu ertragen? Wie soll ich ihm nur jemals wieder gegenübertreten?
    Norrock begleitet mich ein Stück als Wolf, trabt neben mir her, seine Wunden sind nur noch kahle Stellen im Pelz. Dann schnuppert er in die Luft und läuft zurück ins Lager.
    Allein setze ich meinen Weg fort. Es knistert und knackt um mich herum. Mein Gehör und mein Geruchssinn sind schärfer als je zuvor. Ohne mich umzudrehen, merke ich, dass Thursen hinter mir ist.
    «Luisa», ruft er. Ich gehe einfach weiter und sehe mich nicht um. «Luisa!» Thursen überholt mich und stellt sich mir in den Weg. «Norrock hat mir erzählt, was du vorhast, aber ich konnte es nicht glauben.»
    Ich versuche, meinen Weg fortzusetzen. «Lass mich vorbei, Thursen.»
    «Luisa, du kannst deinen Bruder nicht wiedersehen!» Er hält mich fest. Doch ich schüttle seinen Griff ab.
    «Norrock sagt was anderes.»
    «Dein Bruder ist tot.»
    «Denkst du, das weiß ich nicht? Ich vermisse ihn, jeden Tag! Ich will ihn nicht zurückholen! Ich will ihn doch nur noch einmal sehen und mit ihm reden!»
    «Du verrätst alles, woran du geglaubt hast. Du wolltest Norrock vom Töten abhalten. Jetzt hilfst du ihm dabei und tust, was er will.»
    «Du bist nicht besser als ich, du tötest Menschen! Ich will nur, verdammt noch mal, meinen Bruder sehen!»
    «Ich habe den Wolfseid geschworen, Luisa.»
    «Ich weiß! Darum stehst du jetzt auch nicht auf meiner Seite. Du hast getötet, um das Rudel zu übernehmen. Du warst selbst bereit, den Preis zu zahlen für das, was du wolltest. Sag mir also nicht, was ich zu tun habe, Thursen.»
    Er hält mich fest und zwingt mich, ihn anzusehen. «Man findet die Pforte ins Totenreich, indem man einer Seele folgt. Die Seele eines Getöteten ist an ihren Mörder gebunden und darum für ihn sichtbar. Man tötet jemanden, folgt seiner Seele und findet das Tor. Ich habe geschworen, den Eingang zur Welt der Toten zu bewachen und geheim zu halten.»
    «Dann hat Norrock wirklich nicht gelogen? Es gibt einen Weg dorthin?»
    Thursen nickt. «Wir Werwölfe sind die Wächter des Tores zum Totenreich. Schon seit Anbeginn der Zeit. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Toten jenseits der Pforte bleiben und die Lebenden diesseits.

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