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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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fühlen, dass sie bei mir ist, wirklich da ist. Die Angst, sie könnte plötzlich verschwunden sein, es könnte sie nie gegeben haben, begleitet mich ständig. Wer sagt mir, dass ich den ganzen Schwachsinn hier im Wald mit Werwölfen und Halbengeln nicht komplett geträumt habe? Viel wahrscheinlicher ist es doch, ich liege in meinem Zimmer im Bett und schlafe, und nebenan plant meine Mutter ihren Tod, wieder einmal. Und ich habe Luisa nie getroffen.
    Doch da ist ihre warme Hand in meiner. Ihre knisternden Schritte neben mir. Alles ist echt. Sie ist da.
    «Warum legen sie Lurnak nicht einfach irgendwo ab, so wie damals Krestor, und warten, dass er gefunden wird? Warum müssen sie ihn ins Wasser werfen?», fragt Luisa und reißt mich endgültig aus den Gedanken, die mir sowieso nicht guttun.
    «Das mit Krestor war riskant genug. Solange die Shinanim uns suchen, könnten wir gleich ein Schild danebenstellen: Achtung, toter Werwolf.»
    «Er ist wieder ein Mensch.» Luisa bleibt stehen, weil ein Baumstamm unseren Weg versperrt. Nacheinander steigen wir über die vermooste, frostglitschige Baumleiche.
    «Irgendwer von seiner Familie würde ihn identifizieren und merken, dass er eigentlich viel jünger sein müsste. Wenn Norrock ihn ins Wasser wirft, kann es dauern, bis der tote Körper angeschwemmt wird. Dann ist er so aufgequollen, dass er garantiert keine Falten mehr hat. Wenn wir Glück haben, merkt keiner, dass Lurnak viel zu alt aussieht.»
    «Zrrie sieht auch schon viel älter aus als damals, als sie Werwölfin wurde. Da war sie fast ein Kind, und jetzt sieht sie so alt aus wie ich.»
    «Gut, dass du nur so kurz Wölfin warst.» Werwölfe altern schneller. Ich bin später geboren als Luisa. Ich war mal jünger und bin jetzt durch meine Wolfszeit älter als sie. Wäre sie länger Wölfin gewesen, hätte sie mich wieder überholt. Was für eine verdrehte Welt.
    «Stehst du etwa nicht auf ältere Frauen?» Luisas Hand regt sich in meiner. Das einzig Sichere, auf das ich mich immer verlassen kann. Sie. Ich gebe den Druck zurück.
    In diesem Moment höre ich es. Ein Hubschrauber! Luisa und ich laufen gleichzeitig los und drücken uns nebeneinander an den Stamm einer Fichte. Das Geräusch wird lauter. Doch das beschneite Nadeldach versteckt uns, und der Hubschrauber gleitet über uns hinweg. Ist es ein normaler Hubschrauber zur Verkehrsbeobachtung, oder suchen die Shinanim noch immer nach uns? Luisa sieht mich an. In ihren Augen liegt noch ein letzter Rest Werwolfsilber. Doch mein Blick bleibt an ihrem Mund hängen, wie immer. Ihr Mund ist wunderschön und sanft und weich, und ich weiß nur zu genau, wie sich ihre Lippen auf meinen anfühlen. Sie lächelt. Kann sie etwa doch meine Gedanken lesen? Ihre Wange ist genauso kalt wie meine Hand, als ich ihr Gesicht berühre. Schnell ein Kuss, bei dem mir der Geruch nach Rinde und Baumharz und Luisa in die Nase steigt, dann setzen wir unseren Weg fort.
    Heute, wo wir keinen anstrengenden Kampf hinter uns haben, scheint der Weg viel kürzer. Da sind die Trauerbäume schon. Zuerst knien Luisa und ich uns vor Sjölls Windlicht. Es ist erloschen, der Boden des Glases mit verlaufenem Kerzenwachs gefüllt, darin klein und kringelig die schwarzen Reste des ertrunkenen Dochtes. Die Flamme sollte brennen, bis Sjöll gerächt ist.
    Luisa hält das Glas hoch. «Es sieht fast so aus, als wäre sie bei Nicks Tod von selbst ausgegangen.»
    Norrocks verdammtes Rachelicht. «Nick ist zwar tot, aber Norrock wird trotzdem nicht aufhören. Er wird auch noch die anderen aus Nicks Bande jagen. Oder glaubst du wirklich, für ihn ist es vorbei?»
    Luisa seufzt. «Da hast du wohl recht.»
    «Lass uns einen Baum für Haddrice suchen.»
    Luisa beginnt von Baum zu Baum zu gehen. Streicht hier und da über die Rinde. Ich wüsste gerne, was Haddrice ihr bedeutet hat. Haddrice hat sie vor Nick gerettet. Als sie tödlich verletzt war, hat Haddrice sie in eine Werwölfin verwandelt und ihr damit das Leben gerettet. Ich kam nicht so gut klar mit Haddrice. Sie war so anders als Sjöll, die die ganze Scheiße nur noch vergessen wollte. Haddrice hat sich so an ihren Hass geklammert, dass er zum Schluss alles war, woraus sie bestand. Doch ist das noch wichtig? Luisa wurde mit ihr zusammen von den Shinanim gefangen, die beiden sind zusammen geflohen. Luisa wird den Baum finden, den Haddrice gewollt hätte.
    «Meinst du, der hier ist richtig?», fragt sie endlich, nachdem sie mit prüfendem Blick über eine Unzahl von

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