Schattenblüte. Die Erwählten

die Hand nach ihrem Haar aus. Zieht sie zurück, als er ihren eisigen Blick bemerkt. Wenigstens hat sie ihm nicht eins mit dem Knüppel übergebraten. «Dann funktioniert es also doch? Man kann die Dunkelheit aus der Seele der Werwölfe vertreiben? Wie? Einfach mit dem bloßen Willen?»
    «Eure Foltermethoden mit Kreuzen und Silberblech führen jedenfalls nicht zum Ziel, glaub mir, Elias», sagt Luisa.
    «Du hast von diesen Dingen nicht die geringste Ahnung, und es ist auch besser, das bleibt so», sage ich. «Wir teilen unsere Geheimnisse nicht mit Feinden. Wieso bist du hier?»
    «Ich muss mit euch reden. Ich wollte keinen Kampf.» Er hebt die leeren Hände. Seine leeren Hände, auf denen er Flammen erscheinen lassen kann. Sehr beruhigend!
    Offenbar deutet Elias meinen Blick falsch. «Was willst du?», fragt er. «Durchsucht mich, dann seht ihr, dass ich keine Waffe trage.»
    «Na gut. Jacke aus», fordere ich, nehme sie ihm ab und reiche sie Luisa. Taste, während er die Arme ausstreckt, den Pullover ab, den er darunter trägt. Es gefällt mir, dass er jetzt friert.
    Luisa durchsucht seine Jackentaschen. «Sag mal, sind Pullover mit aufgenähten Lederflicken nicht ein bisschen sehr spießig, Elias?»
    Er starrt sie an. «Menschen sterben, und du redest mit mir über Mode?»
    Sie holt sein Handy raus, versichert sich, dass es ausgeschaltet ist, und steckt es wieder weg. «Ich kann auch darüber sprechen, dass du auf dem Teufelsberg Nick die Flucht ermöglicht hast. Dem Nick, der mich ein paar Minuten später fast umgebracht hat!»
    «Du lebst noch.»
    «Ja, ich lebe.» Luisa dreht die Jacke um, schüttelt und sieht zu, wie der Inhalt der Taschen, Portemonnaie, Schlüssel, Papiertaschentücher, zu Boden purzelt. «Aber nur, weil ich in letzter Sekunde Werwolf geworden bin und Werwölfe schneller heilen als Menschen!»
    «Ich bin noch nicht fertig», halte ich Elias zurück, der nach seinen Sachen greifen will, und taste seine Hosenbeine extra langsam ab. Natürlich ist da nichts.
    Elias stöhnt genervt. «Gut, Luisa, dann reden wir eben über den Pullover. Der ist aus irischer Schafwolle, und mein Vater hat ihn mir aus England mitgebracht. Auch wenn er dir nicht gefällt, es ist der einzige warme Pullover, den ich zur Zeit besitze. Wahrscheinlich weißt du es noch nicht, aber das Himmelsnest ist abgebrannt.»
    Seine geheime Behausung ist abgebrannt, und ich wusste, wo sie liegt. Das will er doch eigentlich sagen, oder? «Und jetzt denkt ihr, dass wir Werwölfe das waren? Bist du deshalb hier?» Ich sehe mir die Lederbesätze an seinen Ellenbogen genauer an. Sind nicht nur hässlich, sondern auch noch an einer Stelle schlampig und mit einem Faden in der falschen Farbe vernäht.
    «Ich habe meine eigene Theorie. Kann ich meine Jacke wiederhaben?»
    «Warte mal.» Ehe er wegzucken kann, packe ich den Flicken und reiße ihn ab.
    «Was soll das?», ruft Elias. Doch er ist sofort still, als ein kleines schwarzes Plastikteil lautlos in den Schnee fällt.
    Und jetzt? Immer noch so friedlich? Vorsichtshalber hole ich mein Messer aus der Tasche.
    Luisa hebt das kleine Teil auf. «Was ist das?», fragt sie und hält es Elias mit spitzen Fingern vors Gesicht.
    Ich kann es mir denken. «Na los, Elias, erklär ihr, warum du verwanzt zu uns kommst. Du willst nur reden, ja? Dann sag doch mal, wer die ganze Zeit mitgehört hat.»
    «Das ist keine Wanze, das ist ein GPS -Sender!», sagt Elias, der Luisa das Bauteil aus der Hand genommen und von allen Seiten betrachtet hat.
    «Klar, viel besser!» Ich würde gerne Elias mit meinem Messer zeigen, was ich davon halte. Ob ihm so eine Narbe im Gesicht stehen würde, wie Adrian sie mir verpasst hat?
    «Hört zu. Das ist der Pullover, den Chiara mir schon vor dem Brand mitgebracht hat, dorthin, wo ich jetzt wohne. Wahrscheinlich war der Sender die ganze Zeit drin. Oh, verdammt, wie konnte ich so blöd sein!», stöhnt Elias. «Aber jetzt ist Schluss damit!» Er legt den Sender auf einen großen Stein, sucht einen zweiten und kniet sich hin, als wollte er das Teil wie auf einem Amboss zerschlagen.
    «Stopp!», sage ich und stoße ihn mit dem Fuß an. «Sehr eindrucksvoll, nur ein bisschen offensichtlich. Ich wette, deine Engelsfreunde verfolgen die ganze Zeit zu Hause am Computer, wo du dich rumtreibst. Wenn das Signal jetzt aufhört, sagst du ihnen damit genau, wo sie suchen müssen. Clever!»
    «Ich habe nichts von dem Sender gewusst, Thursen!»
    «Klar, ich merke ja auch nie, ob jemand an