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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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voll ins Gesicht. Er treibt mir Tränen in die Augen. «Fahr schneller, Elias!»
    «Ich fahre schnell! Es fährt sich nicht so gut mit einer Mörderin im Rücken, die eine Pistole auf einen gerichtet hat.»
    «Ich bin keine Mörderin!»
    «Aha. Und was ist mit Edgar? Du bist mitschuldig.»
    «Woher weißt du so sicher, dass er tot ist?»
    «Ein Eisbrecher hat seine Leiche überfahren, als sie in der Havel trieb. Habt ihr ihn ins Wasser geworfen und gehofft, ihn findet keiner, bis es wieder taut?»
    «Das war nicht Edgar.»
    «Nein? Er hatte seine Jacke an.»
    Das Motorrad neigt sich nach links, als Elias einem herumliegenden Baumstamm ausweicht. Ich verstärke meinen Griff um seine Taille, um nicht zu rutschen. «Edgar geht es gut. Er ist im Krankenhaus.»
    «Das nennst du gutgehen?»
    «Elias! Er ist nicht krank. Er hat ein Mädchen dorthin gebracht, dem es schlechtging! Ich dachte immer, ihr Shinanim macht das so? Aber vermutlich lasst ihr Verletzte einfach liegen und verrecken?»
    «Hübsche Geschichte, Luisa. Meinst du wirklich, ich glaube, dass ihr Edgar einfach so gehen lasst?»

[zur Inhaltsübersicht]
    58. Elias
    THURSEN hat mich zum Glück verstanden. Ich weiß, dass Vittorio zum Tor wollte, doch ich habe keine Ahnung, wo dieses Tor liegt. Thursen weiß es natürlich, also muss ich ihm und seinem Rudel folgen. Immer tiefer führt er uns in den Wald hinein. Ich habe die Satellitenkarten des Grunewalds fast auswendig gelernt, doch das hier habe ich nie darauf gesehen. Der Wald vor uns ist von weißen Schlieren durchzogen, die im Licht der Scheinwerfer aufleuchten, als wäre die Luft dort zu Eis gefroren. Je weiter man sieht, desto dichter wird es, bis der Nebel wie eine weiße Wand den Blick vollends aufsaugt. Automatisch werde ich langsamer.
    «Fahr weiter!», verlangt Luisa.
    Das ist kein normaler Nebel. Der Boden ist genau wie die Luft viel zu trocken für Nebel. Hier im Wald ist bestimmt noch nie auf natürliche Weise Nebel entstanden. Ich muss nicht das weit entfernte Wolfsgeheul hören, um zu wissen, woher er stammt. Also sind diese Legenden auch wahr. Werwölfe können die Nebel aus der Tiefe zu sich rufen.
    Luisa zwingt mich, Thursen und den Wölfen in den Nebel hinein zu folgen. Der Nebel raubt mir meine Kraft, und jeder Meter, den wir weiterfahren, dem Wolfsgeheul entgegen, zehrt an mir. Es ist, als würden diese trüben Schwaden das gespeicherte Himmelslicht aus mir saugen und mich müde und mutlos machen.
    Endlich lässt Thursen anhalten. Zwischen den Bäumen kommt ein Mädchen auf uns zu. Sieht sie nur in diesem Nebel so aus, oder ist sie tatsächlich ein Mensch?
    «Rieke!», ruft Thursen und steigt vom Motorrad.
    «O mein Gott, ihr seid es wirklich!», ruft sie und läuft auf ihn zu. Umarmt alle der Reihe nach, auch die Wölfe, die Mensch werden. Und plötzlich steht auf einmal noch ein Junge bei der Gruppe, als wäre er wie der Nebel aus dem Boden gewachsen.
    «Edgar, wieso bist du wieder hier?» Luisa springt von meinem Motorrad, und erst, als sie ihm entgegenlaufen will, fällt ihr ein, dass sie ja mich bedrohen muss. Unschlüssig bleibt sie stehen.
    «Lauft zu Norrock!», ruft Thursen seinen Wölfen zu.
    Der Junge ist tatsächlich Edgar. Unverletzt. Doch statt Luisa zu begrüßen, hockt er sich zu der kleinen Wölfin, die ihm entgegenhumpelt. Es ist der Wolf, dem Luisa mit meinem Goldband den blutenden Vorderlauf abgebunden hat. Er legt seine Arme um ihren Hals und scheint wirklich Tränen in ihr Fell zu weinen. Sie schmiegt sich in seine Arme. Werwolf und Shinan, Licht und Dunkel. Ich erinnere mich an Luisas Kuss. Warum verletzen sich die beiden nicht gegenseitig?
    «Pass auf, das ist eine Werwölfin, Edgar!», sage ich.
    «Elias?», fragt er verwundert. Versucht zu mir aufzusehen und blinzelt stattdessen mit nassen Augen ins Scheinwerferlicht des Motorrads. «Meinst du, das weiß ich nicht?»
    Und trotzdem bleibt sie in ihrer Wolfsform. «Wenn ihr so gut befreundet seid, warum verwandelt sie sich nicht in einen Menschen?»
    Edgar hat seinen Kopf schon wieder an ihr Fell geschmiegt. «Sie kann es nicht mehr.»
    Die kleine Wölfin leckt ihm über das Gesicht, zärtlich wie ein Kuss, dann läuft sie ihrem Rudel hinterher auf das Heulen zu.
    Thursen nimmt Luisa endlich die Pistole ab.
    Die Werwölfe sind schon vorausgelaufen, tiefer in den Nebel hinein. Dort irgendwo muss auch Vittorio sein. Ich lasse das Motorrad zu Boden gleiten und eile.
    «Elias», ruft Thursen mich zurück. Jetzt ist er es

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