Schattenblüte. Die Erwählten
Seddram sich benimmt, oder wir lassen ihn zurück.»
Hinter der nächsten Ecke finden wir Zrrie, schrecklich verdreht und verbrannt liegt sie da. Ist sie tot, die kleine Wölfin? Ich renne zu ihr und knie mich neben sie. Sie ist nicht tot, sie atmet. «Zrrie?», rufe ich, Verzweiflung in der Stimme, nicht auch noch Zrrie! Ich will sie anfassen, wach rütteln, doch ich weiß nicht, wo ich sie anfassen kann, ohne ihren Schmerz zu vergrößern. Hilfesuchend sehe ich mich um. Thursen, die Waffe im Anschlag, lässt die Werwölfe weitergehen, Elias einen Schritt vor ihm.
«Zrrie lebt noch!», rufe ich. «Helft mir doch endlich!»
Elias bleibt stehen, und diesmal lässt Thursen es zu. Ein Blick von Thursen schickt Mauriks an meine Seite. Gemeinsam richten wir Zrrie auf. Sie schreit, als wir sie bewegen, ein qualvoller Laut zwischen Wolfsjaulen und Menschenschrei. Zittern läuft über ihr Fell, aber wenigstens lebt sie. Ihr Arm, nein, jetzt ist es ihr Vorderbein, kommt zum Vorschein, als wir sie vorsichtig drehen. Es ist durchbohrt, vermutlich von einer der Lanzen, und blutet stärker, jetzt, wo sie nicht mehr darauf liegt.
«Ich brauche etwas zum Abbinden!», rufe ich Thursen zu. Er wirkt grau unter der Verantwortung. Als keiner der Werwölfe reagiert, zieht Elias wortlos ein goldenes Band aus der Hosentasche und wirft es mir vor die Füße. Ich schlinge es um Zrries Vorderbein. Roff kommt aus einem der Seitengänge angehumpelt, das Fell blutverklebt, den Schwanz gesenkt. Er verlässt seine Wolfsgestalt, als er uns sieht. «Silberlanze», knurrt er heiser und zeigt auf ein braunrot verkrustetes Loch in seiner Seite. Mauriks läuft ihm entgegen und stützt ihn. Ich verknote das Goldband, der Blutfluss stoppt tatsächlich. Aus einem Seitengang kommen fünf Shinanim auf uns zu und verharren reglos, als sie Elias in unserer Gewalt sehen. Sie bringen altmodische doppelläufige Gewehre in Anschlag. «Das hier sind Silberkugeln!», ruft einer der Shinanim. «Genug für jeden von euch. Lass Elias frei!»
«Glaubt mir, ich schieße vor euch!», sagt Thursen und wirft den Schützen über Elias’ Schulter hinweg einen Blick zu. Ich erinnere mich wieder daran, wie viel Angst er jemandem machen kann, wenn er es darauf anlegt. Einfach nur durch seinen intensiven Blick und die heisere, drohende Stimme.
«Nicht schießen!», sagt Elias.
«Wir können uns nicht von diesen Kreaturen erpressen lassen!» Spannung knistert, als würde die Luft gleich zerbersten. Es reicht ein Shinan, der sich nicht an die Anweisungen hält, und keiner kommt hier lebend raus. Jedenfalls keiner von uns.
Langsam senken sie die Gewehre.
«Das reicht, lasst uns abhauen!», sagt Mauriks und hebt Zrrie auf seine Arme. Beginnt zu laufen. Ihr Gesicht mit vor Schmerz zusammengekniffenen Augen liegt an seiner Schulter.
Doch nach ein paar Metern stoppt uns die Gittertür, die den Weg die Treppe hinunter versperrt. Nein, diese Gitter kann niemand aufbrechen.
«Los, öffne die Tür», sagt Thursen zu Elias.
«Dazu braucht man spezielle Sicherungskarten, die nur Ratsmitglieder haben», ruft einer der bewaffneten Shinanim. Sie kommen langsam hinter uns her.
«Mach!», flüstert Thursen Elias zu.
«Elias kann das nicht allein! Die Sicherheitsverriegelung ist nur mit zweiter Gegenkarte zu öffnen. Hier endet eure Mordtour!», kommt es von hinten. «Lasst Elias gehen und gebt euch in unsere Hände. Wir können euch helfen, die Dämonen zu besiegen!»
Statt einer Antwort schießt Thursen mehrmals über seine Schulter hinweg, ohne zu zielen, in die Richtung der anderen Shinanim. Es knallt furchtbar, der Schall wird zwischen den Marmorwänden hin und her geworfen, und eins der Engelgemälde fällt zerlöchert von der Wand.
«Dann besorgt eine Gegenkarte!», brüllt Thursen, dessen Nervosität langsam Wut wird. «Ihr habt genau eine Minute, dann kriegt Elias die erste Kugel in den Fuß! Und mit jeder Minute, die es dann noch dauert, ziele ich ein Stück höher.»
«Bleib ruhig, Thursen. Wir eingeweihte Mitglieder des höchsten Rates haben spezielle Karten, die so ein Tor allein öffnen», sagt Elias. Wie kann seine Stimme in all dem Schrecklichen so sanft klingen? So friedlich? Elias greift in seine Tasche, ganz langsam. Wahrscheinlich ahnt er, dass Thursen mittlerweile so weit ist, tatsächlich bei einer falschen Bewegung abzudrücken. Dann schiebt Elias eine Plastikkarte durch den Schlitz bei der Tür.
Tatsächlich fährt das Gitter sanft surrend in die Wand
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