Schattenblüte. Die Erwählten
zurück, und wir können weitergehen. Nur noch die Treppe hinunter und durch die Halle.
Kurz vor dem Eingang stoßen wir auf Jerro und Fath, die nebeneinander auf dem breiten Läufer liegen. Ich erkenne sie nicht in ihrer menschlichen Gestalt, doch sie müssen es sein. Sie sind keine Shinanim, und sie sind tot. Verbrannt und mehrfach durchbohrt von Silberlanzen liegen sie auf dem Teppich, der mit Blut vollgesogen ist. Zwei Shinanim mit zerbissenen Kehlen leisten ihnen Gesellschaft.
«Nicht stehen bleiben», drängt Thursen, als Elias beim Anblick der toten Shinanim leise ihre Namen murmelt.
Glowen und Seddram stoßen die breite Eingangstür auf, Elias geht weiter voraus, wir folgen Thursen, dann haben wir es endlich hinaus aus dem Gebäude geschafft. Zrrie erwacht in der Kälte draußen und beginnt sich in Mauriks’ Armen zu regen. Als er sie absetzt, steht sie zitternd und benommen auf ihren eigenen Pfoten. Sie scheint erst jetzt zu bemerken, dass wir Elias, einen Shinan, bei uns haben. Mit gesenktem Kopf und gesträubtem Fell knurrt sie drohend. Sie kann laufen, wenn auch das Bein, das ich mit dem Goldband abgebunden habe, ihr Gewicht noch nicht zu tragen scheint.
«So, ihr seid draußen.» Elias hebt vorsichtig seine Hand und zeigt auf die Pistole. «Kannst du die vielleicht jetzt endlich runternehmen?»
Thursen senkt die Waffe nicht. «Nein, Elias. Wenn wir bei Vittorio sind.»
«Ich habe euch da lebend rausgebracht! Obwohl ihr Esther erschossen habt. Reicht das nicht?» Abscheu lässt ihn die Augen ganz schmal zusammenkneifen.
«Sieh dir die Wölfe an, Elias, sieh sie dir ganz genau an. Wenn du uns nicht hilfst, bist du schuld am Tod der letzten Werwölfe. Und an deinem natürlich auch.»
«Ach hör auf, Thursen. Tu doch nicht so, als hätte ich eine Wahl! Du bist der mit der Pistole.» Er geht über den verschneiten Hof, doch nicht zur Eingangspforte, sondern zu einer breiten Tür in einem der grauen Nebengebäude. «Ich schließe jetzt auf, Thursen», sagt er und fischt mit der einen Hand einen Schlüssel aus seiner Tasche, während er die andere erhoben hält wie in einem Westernfilm. «Nicht dass du aus Versehen schießt.»
«Was soll das?», fragt Thursen.
«Ich soll euch zu Vittorio bringen. Euch alle», sagt Elias. «Ich vermute, du kannst dir denken, wo er mittlerweile ist. Es sind ein paar Kilometer. Ich bin Shinan und kann eilen. Die Werwölfe können laufen. Aber was ist mit dir? Du und Luisa, ihr könnt euch nicht verwandeln. Glaubst du wirklich, ihr könnt Schritt halten mit uns, Thursen? Der Ort, zu dem wir jetzt gehen, ist nicht leicht zu erreichen, das weißt du besser als ich.» Elias hebt den rechten Flügel des sperrigen Tors etwas an und zieht ihn auf. Das Holz scharrt über den betonierten Vorplatz und schiebt den Schnee beiseite.
Dann geht Elias, von Thursen misstrauisch beobachtet, in die alte Garage hinein und holt ein Motorrad heraus. Eine schwarze hochbeinige Geländemaschine mit gefurchten Reifen. Elias hält das kleine Schlüsselbund hoch. «Der Zündschlüssel und noch ein Schlüssel für das Tor im Zaun, das in den Wald führt. Hier», sagt er und wirft Thursen das Schlüsselbund zu. Ist das ein Trick, damit Thursen die Pistole senkt? Weiß Elias, dass Thursen nur eine Hand benutzen kann? Wenn ja, fällt Thursen nicht darauf herein. Er hält die Pistole mit seiner gesunden Hand im Anschlag und lässt das Schlüsselbund vor sich in den Schnee fallen. Dann zeigt er Elias den rechten, verletzten Arm. «Gute Idee, aber ich kann so nicht fahren.»
«Ich aber», sagt Glowen, hebt den Schlüssel auf und schüttelt den Schnee ab.
«Du?», wundert sich Elias. «Hast du einen Führerschein?»
Sie lässt die Schlüssel leise klingeln. «Keine Ahnung. Ich bin ein Werwolf! Meinst du, ich kann mich an meine Fahrprüfung erinnern, wenn ich nicht mal mehr meinen Namen weiß? Es wird schon klappen.» Sie geht zu dem Motorrad, schwingt das Bein über den Sitz und schiebt den Schlüssel ins Zündschloss. «Einen von euch kann ich hintendrauf nehmen. Thursen?»
Thursen nickt und geht langsam, ohne Elias aus den Augen zu lassen, zu Glowen.
Ich laufe zu Thursen, achte darauf, ihm nicht in die Schussbahn zu kommen. Umarme ihn. Er versucht, mich mit der verletzten Hand an sich zu ziehen, und beißt vor Schmerz die Zähne zusammen. «Lauf in den Wald und versteck dich, Luisa», sagt er. «Da bist du sicher. Die Shinanim werden uns folgen.»
«Ihr lasst mich doch nicht hier?» Und ich weiß
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