Schattenblüte. Die Erwählten
Hubschrauber knattert über uns hinweg und wischt einen Lichtstrahl über die Erde. Shinanim. Fremde Stimmen rufen viel zu weit entfernt. Sie wissen es nicht, doch gleich sind sie einmal mehr Mörder. Noch ein paar Atemzüge.
Zrrie stirbt.
Edgar hält sie, die kleine schwarze Wölfin, die schlaff in seinen Armen hängt. Ich wünschte, sie würde noch einmal Mensch, einmal könnte er sie noch als Mensch halten, ihr in die Augen sehen. Manchmal, heißt es, heilt Liebe alles. Doch hier nicht.
Zrrie zittert, atmet seufzend aus und stirbt in Edgars Armen. Erst im Tod bekommt sie wieder ihre menschliche Gestalt. Fremd ist mir Zrrie, so erwachsen, wie wir sie jetzt kennen, doch mit der Haarfarbe von damals.
Zrrie ist tot!
Kehle zu, Augenbrennen, als mein Blick verschwimmt. Sie ist tot.
Tot, verdammt!
Ich gehe zu Edgar, knie mich neben ihn und lege ihm den Arm um die Schultern. Versuche, ihn zu trösten. Halte ihn im Arm, und er hält Zrrie. Seine Tränen fließen, fallen auf ihr Gesicht und rinnen ihre Wangen herunter. Als würde sie auch weinen, dass sie ihn verlassen musste. Leise redet er auf sie ein. Sinnlos. Doch ich weiß, warum er es tut. Ich weiß, was er jetzt fühlt.
Thursen kommt zurück, ich erkenne seine Schritte, ohne mich umzusehen.
«Luisa?» Elias’ Stimme? Jetzt drehe ich mich doch um. Thursen hat Elias geholt, was soll das?
«Schnell, macht Platz. Wir versuchen zu helfen.» Sie drängen Edgar und mich zur Seite. Knien beide vor der toten Zrrie, Thursen auf der einen, Elias auf der anderen Seite.
«Die Shinanim suchen uns. Sie sind auf dem Weg hierher, und wir brauchen Zeit, bis sie uns finden. Ruf den Nebel, Edgar!», sagt Thursen.
«Ich? Ich soll den Nebel rufen?»
«Du bist der Einzige, der sich noch in einen Wolf verwandeln kann. Außer dir ist keiner mehr da. Du bist nun der Leitwolf», sagt Thursen und tastet Zrries Brustkorb ab. «Zusammen?», fragt Thursen Elias. Der nickt. Die beiden zusammen? Das ist die Hilfe, die Thursen geholt hat, viel zu spät für die schon tote Zrrie? Was hat Thursen sich gedacht? Was soll Elias denn helfen? Er war im Krankenhaus der Unterhalter, der Zauberkünstler, doch kein Arzt!
Elias beugt sich über Zrries Gesicht, hält ihren totenblassen Mund zu, den Nacken der Toten überstreckt, und spendet Atem. Holt Luft, bläst. Thursen drückt mit durchgestreckten Armen Zrries Brustkorb ein. Herzmassage. Eins. Zwei. Drei. Rhythmisch. Schnell.
Ich halte Edgar. Ihm laufen die Tränen herunter. Kein heroisches Herunterschlucken, kein Grund, so zu tun, als berührte es ihn nicht. Da liegt das Mädchen, das er liebt, und ist tot.
«Mach endlich!» Norrock löst Edgar aus meinen Armen.
«Ich bin doch kein Wolf! Und schon gar kein Leitwolf!»
«Doch, das bist du. Ich zeig dir, wie es geht. Aber du kannst als Einziger die Nebel rufen», sagt Norrock. Gemeinsam gehen sie ein Stück und setzen sich auf den Boden. Norrock redet leise weiter auf Edgar ein. Edgar wird Wolf, ein schneeweißer Wolf. Seine dritte Verwandlung. Ist er jetzt einer von uns? Nein, es gibt kein «uns» mehr. Er ist der letzte Werwolf. Er heult. Erst zaghaft, dann lauter. Nicht so tief und rau wie Norrock, es ist mehr ein Gesang, der die Luft zum Klingen bringt.
Thursen und Elias kämpfen um Zrrie. Was soll überhaupt die Reanimation? Abgetrennt von der Kraft aus der Totenwelt ist sie als Werwölfin verloren. Selbst wenn sie sie zurückholen, wird sie nur im nächsten Moment wieder sterben.
Edgar singt seinen Wolfsgesang. Ich höre kaum hin. Wie soll er mit diesem Singen den Nebel rufen?
Und er tut es auch nicht. Kein Nebel steigt auf aus dem Boden. Wir stehen mitten im Licht. Edgar, der strahlende weiße Wolf, hat Licht vom Himmel zu uns herabgerufen. Besser noch als der Nebel ist diese Lichtkuppel, die uns alle erhellt und beschützt.
Sie geben immer noch nicht auf. Thursen, der ihr Herz anstößt, und Elias, der in tiefen Zügen all seinen Atem in Zrrie zu flößen versucht.
Und dann geschieht das Wunder.
Elias richtet sich auf, und Thursens Arme erschlaffen. Zrrie atmet, schnappt nach Luft, wimmert, zittert. Ihre Wangen sehen nicht mehr aus wie Schnee.
Sie war tot, Zrrie. Doch nun lebt sie wieder.
Elias sieht zu Tode erschöpft aus. Zrrie lebt. Doch wie lange?
Edgar stürzt zu ihr. Sieht auf zu Elias, flüstert: «Danke.» Elias lächelt, auch wenn er aussieht, als würde er gleich umkippen. Thursen stützt ihn unauffällig, bis er wieder selbst stehen kann. Die Lichtkuppel bekommt
Weitere Kostenlose Bücher