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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Melling
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haben, können unsere Decken und Schlafsäcken dringend brauchen.»
    Ich danke Elias. Er hat nicht nur Zrrie, sondern uns allen das Leben gerettet. Ob er weiß, dass die Pistole gesichert war, als ich sie Luisa gegeben habe? Dann verabschieden wir uns von den anderen und gehen, schnell, ehe auch mich der Mut verlässt. So bald schon sind wir am Rand des Waldes und zurück in der Stadt. Der Weg müsste eigentlich Tage dauern. Mir ist, als kämen wir von einem anderen Planeten. Einem Planeten, auf dem die Zeit anders läuft, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang unwichtig sind und nur das Hier und Jetzt zählt. Leben und Überleben. Kampf und Verstecken und immer Kälte. Wer plant da die Zukunft?
    Und jetzt sind wir auf einmal zurück. Da sind Ampeln, die unseren Weg regeln. Immer wieder das Brummen der Autos, das die Ohren verstopft, statt Stille und Waldgeräuschen. Ein Mann in einem hellen Mantel kommt uns entgegen und spricht genervt mit Unsichtbaren. Nur am Kabel, das über seine Wange läuft, sieht man, dass er keine Selbstgespräche führt.
    Wie spät mag es sein? So lange war die Uhrzeit egal. Es zählte nur, ob Luisas Wunden heilen. Und ob wir Vittorio erwischen, ehe er das Tor zerstören kann. Ich ziehe die Mütze, die meine struppigen Haare verbirgt, tief über meine Ohren. Müssten Luisa und ich eigentlich in ein paar Stunden in der Schule sein?
    Da ist der Bahnhof. Nachts fahren die Züge seltener, doch irgendwann kommt einer. Wir setzen uns gemeinsam auf eine der bunten abwaschbaren Bänke, ich lege den Arm um sie, und Luisa lehnt sich an mich. Mit den Fingern fährt sie über meine mittlerweile stoppeligen Wangen. Und über die Narbe, die Erinnerung an den sinnlosen Kampf mit Adrian, die ich jetzt behalte, solange ich lebe. Verdammtes Messer. Ich ziehe Luisa näher an mich. Im Licht der Wagenbeleuchtung wirkt sie so blass und müde.
    Als wir nach ein paar Minuten umsteigen, sitzt ein verwahrloster alter Mann auf der Bank auf dem Bahnsteig. Er ruft und schimpft und murmelt und trinkt zwischendurch Schlucke aus einer halbleeren Wodkaflasche. Niemand vertreibt ihn, denn die Kälte draußen ist ein mörderisches Ungeheuer. Auf der Rücklehne der Bank hockt eine Krähe und blickt mit wissenden schwarzglänzenden Augen auf ihn herab. Ist schon jemand gestorben, den er kannte, in diesem grausamen Winter? Es ist eine Berliner Krähe, grau mit schwarzen Flügeln. Eine Trauertraumjägerin. Sie werden immer da sein, auch wenn es das Tor nicht mehr gibt.
    Es ist warm in der Bahn. Langsam beginnt die Anspannung von mir abzufallen. Ich bin so lange nicht mehr im Warmen gewesen. Dösig bin ich, lege meinen Kopf nach hinten an die Abtrennung, und Luisa muss mich fast wecken, als wir endlich aussteigen müssen.

[zur Inhaltsübersicht]
    61. Luisa
    IN der Tasche taste ich nach meinen Hausschlüsseln. Sie sind tatsächlich da, klein und kantig zwischen meinen Fingern. Es kommt mir fast seltsam vor. Ich öffne die Haustür, und dann, nachdem wir die Treppen hinaufgestiegen sind, schließe ich die Wohnung auf und schalte das Licht ein. Es riecht fremd, kein bisschen mehr wie mein Zuhause, sondern als hätte ich seit Monaten schon nicht mehr hier gelebt. Vielleicht kommt das von den toten Pflanzen in den ausgetrockneten Töpfen am Fenster. Eher nicht von dem, was bestimmt im Kühlschrank verdirbt, denn dazu schließt er zu dicht. Vielleicht aber kommt das Fremde in der Wohnungsluft auch einfach nur aus den Wänden gekrochen, jeden Tag ein bisschen, und ich war nicht da, um es mit meinem Lebensgeruch zu überdecken. Bin nicht da gewesen, um frische Luft von der Straße hereinzulassen.
    «Was ist?», will Thursen wissen, als ich herumgehe, von Zimmer zu Zimmer, und die Fenster öffne.
    «Es riecht so anders, gar nicht, als würden meine Mutter und ich hier leben. Das habe ich an unseren Urlauben früher immer so gehasst. Meine Eltern haben für uns eine fremde Ferienwohnung irgendwo am Meer gemietet, die kein bisschen gemütlich roch. Ich habe mich erst nach Tagen, wenn sie endlich unseren Geruch angenommen hatte, so gefühlt, als hätte ich das Recht, mich hinzusetzen, die Kissen auf dem Sofa zu verschieben.»
    «Wahrscheinlich riecht es hier gar nicht so anders als an dem Tag, an dem du weggegangen bist. Du hast noch etwas vom übersteigerten Werwolfsgeruchssinn. Da nimmst du noch die Teppichfasern und die Putzmittel und selbst den Kleister unter der Tapete wahr.» Er streicht mir über die Wange. «Geh duschen, Luisa. Du bist

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