Schattenblüte. Die Erwählten
auf dem Orangenstück und versuche, meinen Unmut gleich mit zu zerbeißen. Warum telefoniert Vittorio jetzt, statt mir eine Antwort zu geben? Ich muss dem Telefonat nicht zuhören, ich weiß, dass Edgar noch nicht gefunden wurde. Ich gehöre zum Rat, man hätte mich über etwas so Wichtiges ebenso schnell aufgeklärt wie ihn. Aber etwas anderes habe ich gesehen, eben gerade. Meine Hand, mit der ich nach einem Stück Melone vom Obstteller greife, zittert. Vittorio hat mit dem Wischen über das Display die Anrufliste durchsucht. Die Anrufliste, natürlich, so leicht ist es gewesen! Von diesem Handy aus habe ich Nick angerufen, direkt vor Vittorios Augen, um ihm zu zeigen, wie kooperativ ich bin. Was für ein guter, vertrauenswürdiger Shinan ich sein kann, trotz meiner Verbindung zu Nick. Gott, war ich dumm und naiv! Vittorio brauchte später nur die Anrufliste durchzusehen, schon hatte er Nicks Nummer. Und mit ein bisschen Technik konnten seine Leute jeden Schritt von Nick verfolgen.
«Ich kümmere mich darum. Ich weiß, wen ich ansprechen kann», sagt Vittorio und beendet das Gespräch. Dann sieht er mich an. «Tut mir leid, es gibt nichts Neues, auch nicht von Edgar.»
«Ich weiß. Das war es nicht, weshalb ich hier bin.»
«Was führt dich dann hierher, Elias? Doch der Brand? Wie gut, dass bei dem Unglück nur Sachschaden entstand und niemand verletzt wurde. Jordan hat mir erzählt, dass du Raquel in ihrem Krankenzimmer besucht hast. Das war sehr freundlich von dir.»
«Das war selbstverständlich.»
«Es tut mir leid, dass damit eure Gruppe zerstört wurde.»
«Es wurde, wie Ihr ja gerade gesagt habt, niemand verletzt. Wir können die Gruppenmitglieder wieder zusammenholen und neue Räume beziehen.»
«Das wäre möglich, wenn du das in Zukunft noch willst. Denke in Ruhe darüber nach, Elias. Wenn diese Aktion zu unserer Zufriedenheit verläuft, müsst ihr die Menschen nicht mehr vor den Werwölfen schützen. Dann sind die Werwölfe sicher verwahrt, bis sie wieder zu den Menschen werden, die sie einmal waren. Was brauchst du dann deine Schutzengelgruppe noch? Du bist nicht jemand, der Menschen vor Taschendieben und der Angst im Dunkeln behüten sollte. Wir haben im hohen Rat einen verantwortungsvolleren Posten für dich.»
«Es geht nicht nur um Angst im Dunkeln. Berlin ist groß, bunt und vielfältig, aber auch manchmal hässlich und voller Gewalt. Die Menschen hier haben nicht nur vor Werwölfen etwas zu befürchten, und sie haben verdient, dass sich jemand um sie kümmert.»
«Du musst nicht in dieser Stadt bleiben, du kannst noch viel bessere Arbeit leisten, wenn du mich auf meinen Flügen um die Erde begleitest. Wenn die Werwölfe erst geheilt sind, dann kennt dich jeder in unserer Welt, und du findest ein offenes Ohr, was auch immer du tun willst.»
«Wenn wir die Werwölfe tatsächlich heilen können.»
Vittorio kaut ein Apfelstück und sieht mir dann direkt in die Augen. «Zweifelst du daran?»
Ich halte den Blick. «Ich würde gerne noch einmal das Video von dem verwandelten Werwolfsjungen sehen.»
«Bitte, überzeuge dich selbst.» Er startet den Film und schiebt den Tablet- PC zu mir herüber. «Es sind keine Schatten mehr da. Der Junge auf dem Video ist ein Mensch und weiter nichts.»
Ich lasse den Film ein paar Minuten laufen. Wieder sieht der gerade geheilte Junge in diesem fremden Krankenhaus in die Kamera. Ich stoppe und sehe ihn mir im Standbild ganz genau an. «Die Verletzungen des Jungen, woher stammten die?» Was tun die Werwölfe, wenn sich einer von ihnen vom Rudel lossagt, beißen sie ihn dann?
«Moritz Hassmann hatte einen Unfall. Er ist in Berlin vor einen einfahrenden Zug gestürzt.»
Gestürzt? Oder wurde er von seinem wütenden Rudel gehetzt, das ihn nicht einfach gehen lassen wollte? Hatten Norrock und Thursen Angst, er würde sie verraten? «Er ist also einfach so gestürzt?»
«Ja, gestürzt, nicht gestoßen worden. Genauer gesagt hat er sich selbst vor den Zug gestürzt, dafür gibt es Zeugen.»
Das Video läuft weiter. Der Junge erzählt, und man sieht die Narben, weiße Striche, dort, wo seine Wunden genäht wurden. Er muss viel ertragen haben. «Mein Gott, dem armen Jungen ging es wirklich schlecht», murmele ich.
Vittorio nimmt mir das Tablet aus der Hand und schaltet es aus. «Dieser Junge hier hat aufgehört, ein Werwolf zu sein! Es geht ihm nicht schlecht, er ist gerettet, Elias!»
«Was ist, wenn er nie ein Werwolf war?»
«Er hat zu Thursens Rudel der
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