Schattenblume
tastete
die Unterseite des Couchtischs ab. «Irgendwie war es ein‐
leuchtend. Eine oben, eine unten.»
«Wo in der Küche?», fragte Sara und ging den Flur hin‐
unter.
«Im Schrank über dem Herd», rief er ihr nach, und
dann: «Verdammt.»
«Was ist?»
«Splitter im Finger.»
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«Sei vorsichtiger», rief sie vom Flur aus. Die Küche lag genau gegenüber vom Schlafzimmer, doch sie warf keinen
Blick dort hinein. Der Geruch nach getrocknetem Blut war
unerträglich, und Sara wusste aus Erfahrung, dass der
Gestank auch nach einem radikalen Hausputz nicht weg‐
ging. Sie glaubte nicht, dass Jessie nach allem, was passiert
war, weiter hier leben würde.
Sara öffnete den Schrank über dem Herd und fand einen
Stapel Tupperware‐Schüsseln, die Deckel ordentlich dane‐
ben aufgeschichtet. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen
und spähte in das Fach, doch da war nichts, was auch nur entfernt wie eine Waffe aussah. Sie ging die ganze Küche durch, öffnete und schloss jede Schranktür, mit dem gleichen Ergebnis. Sogar im Kühlschrank sah sie nach, wo sich
eine volle Milchtüte, Saft und die üblichen Grundnah‐
rungsmittel befanden, doch keine Waffe.
«Irgendwas gefunden?», fragte Jeffrey. Er stand in der
Küchentür und hielt sich die Hand.
«Tut es weh?», fragte Sara.
«Nicht schlimm», sagte er und streckte ihr die Hand
hin. Sie knipste das Licht an und sah sich den großen Holz‐
splitter in seiner Handfläche an.
«Irgendwo müssen sie eine Pinzette haben», sagte sie
und zog die Schubladen auf, doch die flüchtige Suche er‐
gab nur ganz normale Küchengeräte. «Ich sehe mal im Bad
nach.»
Auf dem Weg zum Bad fiel ihr Blick auf einen Nähkorb
auf der Anrichte im Esszimmer.
«Komm rüber, hier ist das Licht besser», rief sie Jeffrey zu und durchsuchte den Korb. «Damit wird es gehen.»
Zwischen Stecknadeln und Nähnadeln hatte sie eine Pin‐
zette gefunden.
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«Soll ich mehr Licht reinlassen?», fragte Jeffrey und
drehte an der Jalousienstange. Er sah hinaus in den Gar‐
ten. «Schön hier, nicht wahr?»
«Ja», sagte sie und griff nach seiner Hand. Bei der Arbeit trug sie eine Brille, aber sie war natürlich zu eitel gewesen,
die Brille mit auf die Reise zu nehmen. «Es tut vielleicht ein bisschen weh.»
«Ich werde es aushalten», sagte er, dann: «Au! Ver‐
dammt.» Er zuckte mit der Hand zurück.
«Tut mir Leid.» Sara versuchte, ein Lächeln zu unter‐
drücken. Sie hielt seine Hand ins Licht. «Denk an was anderes. »
«Kinderleicht», sagte er ironisch und kniff die Augen
zusammen, als sie mit der Pinzette näher kam.
«Ich berühre dich noch nicht mal», sagte sie.
«Bist du zu den Kindern auch so gemein?»
«Die sind meistens tapferer.»
«Vielen Dank.»
«Komm schon», neckte sie. «Wenn du brav bist, be‐
kommst du einen Lutscher.»
«Ich würde dir lieber einen Lutscher geben.»
Sie zog die Brauen hoch, doch sie sagte nichts. Langsam
bearbeitete sie den Splitter.
Jeffrey fragte: «Ist dir nichts Komisches an Swan aufge‐
fallen?»
«Was meinst du mit komisch?» Sie seufzte, als der
Splitter abbrach.
«Ich meine ...» Er zischte durch die Zähne, als sie mit der Pinzette in sein Fleisch zwickte. «Er ist das genaue Gegenteil von Robert.»
Sie zuckte die Achseln. «Vielleicht war das genau der
Punkt. Sie wollte was anderes. Eine Abwechslung.»
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«Bin ich anders als die Männer, mit denen du normaler‐
weise zusammen bist?»
Sara versuchte, sich auf den Splitter zu konzentrieren
und gleichzeitig eine gute Antwort zu geben. «Ehrlich ge‐
sagt, habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. » Als sie den Splitter draußen hatte, lächelte sie. «So.»
Er saugte an seiner Hand, genau wie die Kinder in ihrer Praxis, als wären sie durch einen genetischen Zwang davon überzeugt, dass Spucke jeder Wunde gut tat.
«Lass uns im Schlafzimmer nachsehen», sagte er.
«Glaubst du, er hat gelogen, als er sagte, die Waffe wäre
im Wohnzimmer gewesen?»
«Ich weiß es nicht.»
«Vielleicht hatte er sie in seinem Truck.»
«Vielleicht.»
«Was hast du noch auf dem Herzen?» Diesmal be‐
schloss sie, hartnäckig zu bleiben. «Ich bin nicht dumm,
Jeffrey. Irgendwas hast du doch. Entweder du sagst es mir
oder nicht, aber tu nicht so, als wäre nichts.»
Er legte die Hand auf die Fensterbank. «Ja, ich habe etwas auf dem Herzen. Aber ich kann nicht darüber reden.»
«Also gut», sagte sie. Wenigstens gab er es zu.
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