Schattenblume
einem Sohn sel‐
ber großziehen.» Sie streckte Jeffrey wieder den Finger ins
Gesicht. «Es ist noch nicht vorbei.»
«Doch», sagte er. «Das ist es.»
«Sag deinem verfluchten Kumpel, wenn ich ihn auf der
Straße erwische, ist er tot.»
«Ich kann Sie wegen Morddrohung anzeigen.»
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«Du verfluchter Feigling», sagte sie, dann räusperte sie
sich mit einem höhnischen Grinsen. Bevor Jeffrey auswei‐
chen konnte, hatte sie ihm ins Gesicht gespuckt.
«Es ist noch nicht vorbei», wiederholte sie und packte
Eric am Handgelenk. Seine Arme waren voller blauer Fle‐
cke, doch er ließ sich alles gefallen. Der andere Junge trot‐
tete zum Wagen zurück, als wenn nichts gewesen wäre
und seine Mutter ihm gerade ein Eis versprochen hätte.
Jeffrey zog ein Taschentuch heraus und faltete es sorg‐
fältig auseinander. Dann wischte er sich die Spucke aus
dem Gesicht.
Sara brauchte ein paar Minuten, bis sie ihre Stimme wie‐
der gefunden hatte. Die Anschuldigungen der Frau hallten
noch immer in ihrem Kopf nach. Schließlich brachte sie
heraus: «Willst du mir erklären, worum es hier geht?»
«Nein.»
Sie warf die Arme in die Luft. «Jeffrey, sie hat gesagt, du
hättest ihre Tochter vergewaltigt.»
«Glaubst du ihr?», fragte er und sah ihr in die Augen.
«Glaubst du, ich hätte jemanden vergewaltigt? Ich hätte
jemanden umgebracht?»
Sie war viel zu schockiert, als dass sie ernsthaft hatte dar‐
über nachdenken konnte. Die Anschuldigungen hatten sie
getroffen wie ein Hammer, sie konnte nicht klar denken.
«Sara?»
«Ich ...» Sie schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll.»
«Dann haben wir uns wohl nichts mehr zu sagen», sagte
er und ging davon.
«Warte», rief sie und folgte ihm auf die Straße. «Jef‐
frey.» Er drehte sich nicht um, und sie musste laufen, um ihn einzuholen. «Sprich mit mir.»
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«Wozu? Du hast dich doch schon entschieden.»
«Warum willst du mir nicht sagen, was passiert ist?»
Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. «Warum lässt du es nicht einfach, Sara? Warum kannst du mir nicht einfach vertrauen?»
«Es geht hier nicht um Vertrauen», sagte Sara. «Mein
Gott, die Frau behauptet, du hättest ihre Tochter vergewal‐
tigt. Sie sagt, du hast einen Sohn.»
«Das ist Bockmist», zischte er. «Glaubst du etwa, ich
könnte ein Kind haben, von dem ich nichts weiß? Das geht
doch gar nicht.»
Sara dachte an Jared und widerstand dem Drang, ihm
Nells Geheimnis ins Gesicht zu schleudern.
«Was ist ?» Er wertete ihr Zögern als Misstrauen. «Weißt du was? Scheiß drauf.» Aufgebracht lief er weiter. «Ich dachte, du wärst anders. Ich dachte, ich könnte dir vertrauen.»
«Vertrauen ist hier nicht der springende Punkt.»
«Der springende Punkt», wiederholte er. «Was für eine
Scheiße.»
«Oh, wie erwachsen von dir», sagte sie und imitierte
ihn. «‹Was für eine Scheißo.»
Sie griff nach seiner Schulter, um ihn zurückzuhalten,
doch er schüttelte sie ab und riet ihr: «Du lässt mich jetzt besser allein.»
«Warum?», fragte sie. «Willst du mich vielleicht auch
vergewaltigen? Mich erwürgen?»
Sie hatte ihn schon wütend, fuchsteufelswild erlebt,
doch als sie jetzt sah, wie sehr sie ihn verletzte, bereute sie
die Worte sofort.
Sara versuchte sie zurückzunehmen, doch er schüttelte
nur den Kopf. Er hielt einen Finger hoch, als wollte er etwas sagen, doch er sagte nichts. Schließlich schüttelte er
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noch einmal den Kopf und ging davon. Er wollte anschei‐
nend zum Haus seiner Mutter.
«Scheiße», flüsterte Sara und stemmte die Hände in die
Hüften. Warum war es nur immer so schwierig zwischen
ihnen? Jedes Mal, wenn es mal eine Minute gut ging, kam ihnen etwas – meistens jemand – in die Quere und machte
alles kaputt. Vergewaltigt. Alles, was von ihm behauptet
wurde, konnte sie verkraften, nur das nicht. Warum hatte
er ihr nichts davon erzählt? Warum hatte er ihr nicht vertraut? Wahrscheinlich aus demselben Grund, weshalb sie
ihm nicht hundertprozentig vertraute.
Nell saß auf der vorderen Treppe. Als Sara kam, stand
sie auf und streckte ihr die Hand entgegen. «Ich hab Lane Kendalls Wagen vor Roberts Haus gesehen. Was hat die
alte Ziege gewollt?»
Sara wollte den Mund aufmachen, doch zu ihrer eige‐
nen Überraschung brach sie in Tränen aus.
«Ach, Schätzchen», sagte Nell und führte sie ins Haus.
«Komm.» Sie zog Sara auf die Couch. «Setz dich her.»
Sara
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