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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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war eine Schlampe», sagte Nell. «Nicht dass das
    irgendwas entschuldigt. Gott, meine Schwester Marineil
    war schlimmer, aber sie prahlte wenigstens nicht damit.»
    «Erzähl mir alles», bat Sara. «Jeffrey will mir nichts
    sagen.»
    Nell zuckte die Achseln. «Sie hat Dinge mit den Jungs
    gemacht. Ich weiß nicht, heute klingt es lächerlich, aber damals hat man so was einfach nicht getan.» Sie berichtigte sich. «Na ja, man hat's getan, aber man hat es eben für sich behalten.»
    «Ich weiß es noch gut», sagte Sara. Aus Angst hatte sie am Anfang nicht mit Steve Mann geschlafen, und später
    schämte sie sich so, dass sie es nicht genießen konnte.
    «Julia war nicht hübsch», sagte Nell. «Auch nicht hass‐
    lich, aber die Sorte Mädchen hat was an sich, das sie unan‐

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    sehnlich macht. Die Art, wie sie sich an jeden klammern, der ihnen ein bisschen Bestätigung gibt.» Sie starrte auf die Familienfotos an der Wand. «Wenn ich mir Jen ansehe,
    wird mir manchmal ganz anders, weil ich das Gefühl hab,
    ich sehe diese Abhängigkeit auch bei ihr. Sie ist noch nicht
    mal ein Teenager, aber sie hat jetzt schon diesen übertrie-benen Drang nach Bestätigung.»
    «Die meisten Mädchen sind so.»
    «Wirklich?»
    «Ja», sagte Sara. «Manche können es nur besser ver‐
    bergen.»
    «Ich sage ihr ständig, dass sie hübsch ist. Possum ist
    sowieso verrückt nach ihr. Letztes Jahr ist er mit ihr zum Vater‐Tochter‐Ball gegangen. Gott, sieht mein Mann in
    seinem himmelblauen Smoking toll aus.»
    Sara lachte, als sie versuchte, sich Possum im Smoking
    vorzustellen.
    «Jetzt hat sie angefangen, Sport zu treiben», sagte Nell.
    «Sie spielt Basketball und Softball. Das hilft.»
    Sara nickte. Mädchen, die Sport trieben, hatten mehr
    Selbstbewusstsein – wissenschaftlich erwiesen. «Wenn ich
    zurückblicke, danke ich Gott für meine Mutter.» Sara
    lachte vor sich hin. «Nicht dass ich je ein Wort geglaubt habe, das sie gesagt hat, aber sie hat mir immer eingeredet,
    ich könnte alles erreichen, was ich will,»
    «Offensichtlich hast du ihr doch geglaubt», stellte Nell
    fest. «Schließlich bist du nicht nur wegen deinem hüb‐
    schen Gesicht Ärztin geworden.»
    Sara wurde rot.
    «Egal», fuhr Nell fort und faltete ihr Papiertuch auf und zu. «Julia war eben leicht zu haben. Und sie machte kein Geheimnis draus. Sie dachte, es hätte was zu bedeuten, wenn

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    Jungs mit ihr mitgingen. Als würde sie das zu was Besonderem machen. Als würden die Jungs sie lieben. Als wäre sie
    was Besonderes, weil sie ihnen nach der Schule hinter der Turnhalle einen blies. Sie hat sogar damit angegeben.»
    «Ist Jeffrey mit ihr mitgegangen?»
    «Die Wahrheit?», fragte Nell.
    Sara konnte nur nicken.
    «Die Wahrheit ist, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum er es getan haben sollte. Schließlich hat er es damals regelmäßig von mir bekommen.» Sie lachte leise. «Aber
    bei Jungs in dem Alter weiß man ja nie. Würde ein Sechzehnjähriger eine Gelegenheit sausen lassen? Teufel, selbst
    erwachsene Männer können sich nicht zurückhalten. Sex
    ist eben Sex, und sie tun fast alles dafür.»
    «Hast du ihn je gefragt, was passiert ist?»
    «Den Mumm hatte ich nicht», sagte Nell. «Heute hätte
    ich kein Problem mehr damit, aber du weißt doch, wie es ist, wenn man jung ist. Du hast Angst, dass er dich dafür hasst, was du sagst, und die nächste Mieze liegt schon auf
    der Lauer.»
    «Wer war denn die nächste Mieze?»
    «Ich dachte, Jessie, aber im Nachhinein weiß ich, dass er Robert das nie angetan hätte.» Nell zog die Füße unter ihren Hintern. «Ich glaube nicht, dass er es getan hat, sagt mir mein Bauchgefühl. Schon damals hatte Jeffrey diesen
    Kompass in sich, der ihm den Unterschied zwischen richtig
    und falsch zeigte. »
    «Ich dachte, er hatte ständig Ärger gehabt?»
    «O ja», sagte Nell. «Aber er wusste genau, was er an‐
    stellte. Deswegen hab ich mich ja immer so aufgeregt. Er wusste, dass er Dummheiten machte. Aber er war noch
    nicht an dem Punkt, an dem er beschloss, auf seinen Bauch

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    zu hören.» Sie fügte hinzu: «Der Bauch ist viel schlauer, als man meint.»
    Sara dachte an die Unterhaltung mit ihrer Mutter ges‐
    tern. «Mein Bauch sagt mir, dass ich ihm vertrauen kann.»
    «Meiner auch», stimmte Nell zu. «Ich weiß noch, als
    Julia am Tag nach der Vergewaltigung zur Schule kam. Es
    war furchtbar. Sie hat es jedem erzählt, der es hören wollte.
    Bis zum Mittagessen hatte die Geschichte

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