Schattenblume
349
los war, da sah sie die zwei kleinen Jungs, die zur vorderen Veranda kamen. Es waren bemitleidenswerte Kreatu‐
ren, sie waren unterernährt und starrten vor Dreck. Sara
musste an zwei junge Vögel denken, die aus dem Nest ge‐
fallen und von ihrer Mutter im Stich gelassen worden wa‐
ren. Allein der Anblick machte sie wütend. Wer ließ seine Kinder so verwahrlosen ?
Die Frau packte einen der Jungen im Nacken und schubs‐
te ihn zu Jeffrey. «Begrüß deinen Papa, du Bankert.»
Sara fing den Jungen auf, bevor er hinfiel. Unter dem
dreckigen grauen T‐Shirt spürte sie die Rippen.
Die Frau sagte: «Das ist das Arschloch, das deine Mama
vergewaltigt hat.»
Sara blieb die Luft weg. Sie sah Jeffrey an, doch er wich ihrem Blick aus.
«Vergewaltigt?», stotterte Sara, das Echo hallte in ih‐
rem Kopf nach.
«Hier, du Schwein», schrie die Frau Jeffrey an. «Sei ein Mann, und übernimm einmal in deinem miesen Leben die
Verantwortung für deine Taten.»
«Bitte», Sara versuchte, irgendwie die Regie an sich zu
reißen. «Nicht vor den Kindern.»
«Was?», kreischte die Frau. «Ein Junge muss seinen Va‐
ter kennen. Stimmt's nicht, Eric? Du willst doch sicher den Mann kennen lernen, der deine Mama vergewaltigt und
dann umgebracht hat?»
Neugierig sah Eric zu Jeffrey hoch, doch Jeffreys Mie‐
ne war wie versteinert, und er würdigte das Kind keines
Blickes.
«Alles in Ordnung?», fragte Sara und strich dem Jun‐
gen das schmutzige Haar aus den Augen. Er musste etwa
in Jareds Alter sein, doch irgendwie sah er kränklich aus.
350
An den Armen und Beinen hatte er seltsame blaue Fle‐
cken. Sie fragte: «Bist du krank?»
Die Frau antwortete für ihn. «Er hat schlechtes Blut»,
sagte sie. «Genau wie das Schwein von seinem Vater.»
«Raus hier», knurrte Jeffrey drohend. «Sie haben hier
nichts zu suchen.»
«Und jetzt lässt du Robert dafür bezahlen», sagte sie.
«Du verfluchter Feigling.»
«Sie wissen gar nichts.»
«Ich weiß, dass ich in Arztrechnungen ersaufe», schrie
sie zurück. «Keiner aus meiner Familie hat diese Scheiß‐
krankheit je gehabt.» Sie sah den Jungen hasserfüllt an, als
könne sie seine Nähe nicht ertragen. «Glaubst du etwa, ich
nab zu viel Geld? Glaubst du, ich kann's mir leisten, den Kleinen jedes Mal ins Krankenhaus zu bringen, damit er
'ne Transfusion kriegt, wenn er mal wieder hingeflogen
ist?»
Jeffrey warnte: «Raus hier, verflucht nochmal, oder ich
ruf Hoss.»
Doch sie gab nicht nach. «Hol ihn doch! Hol ihn her,
dann können wir die Sache ein für alle Mal erledigen.»
«Es gibt nichts zu erledigen», gab Jeffrey zurück. «Nichts hat sich verändert, Lane. Sie können gar nichts tun.»
«Zum Teufel mit dir», zischte sie. «Jeder weiß, dass du
sie vergewaltigt hast.»
«Die Sache ist seit drei Jahren verjährt», sagte er, und die
Tatsache, dass er genau wusste, wovon er sprach, machte
Sara Gänsehaut. «Selbst wenn es Beweise gäbe, können Sie
mir nichts anhaben.»
Die Frau streckte Jeffrey ihren dicken Finger ins Ge‐
sicht. «Dann bringe ich dich eben selbst um, du gottver‐
dammter Bastard.»
351
«Ma'am», versuchte es Sara, ohne Eric loszulassen. Er
schien in Gedanken weit weg zu sein, als wäre er es gewohnt, dass Erwachsene sich so benahmen. Der andere
Junge, der draußen geblieben war, spielte mit einem Plas‐
tiklaster und machte die Motorengeräusche nach. Sara
wiederholte: «Nicht vor den Kindern.»
«Wer zum Teufel sind Sie?», lachte ihr die Frau ins Ge‐
sicht. «Für wen halten Sie sich eigentlich?»
Sara hielt es nicht mehr aus. Sie musste ihrem Ärger
Luft machen. «Ich weiß, dass der Junge krank ist. Und er ist
schmutzig. Wie können Sie zulassen, dass er so verdreckt
herumläuft?» Sie zeigte auf den anderen Jungen. «Und er
genauso. Ich werde Sie beim Jugendamt anzeigen.»
«Machen Sie nur», gab die Frau zurück. «Glauben Sie
vielleicht, das kümmert mich? Zwei Mäuler weniger zu
stopfen.» Doch während sie es sagte, streckte sie die Hand
aus und winkte Eric zu sich. Der Junge folgte ihrem Be‐
fehl. Als Sara ihn zurückhalten wollte, spürte sie die Beulen auf seiner Haut.
Die Frau sagte zu Sara: «Ihr Freund hat meine Tochter
vergewaltigt.»
Sara war schwindelig. Sie musste sich an der Wand fest‐
halten.
«Er hat sie vergewaltigt und geschwängert, und am
Ende, als sie um Hilfe gebettelt hat, hat er sie umgebracht,
und ich musste den kleinen Bankert von
Weitere Kostenlose Bücher