Schattenblume
Alkoholikerin sein, doch sie warf keinen
Müll auf die Straße.
Der Motor sprang an, nachdem er ein paar Mal das Gas‐
pedal gepumpt hatte. Jeffrey fegte die Zigarettenasche von
der Mittelkonsole, dann legte er den Gang ein. Die Fenster
waren von einem Nikotinschleier überzogen, und Jeffrey
wischte die Windschutzscheibe mit einem Taschentuch
sauber, bevor er den Parkplatz verließ. Falls seine Mutter Feierabend machte, bevor er zurück war, würde sie eins
und eins zusammenzählen und sich denken, dass Jeffrey
sich den Wagen geborgt hatte. Als Teenager hatte er sich 369
das Auto oft genug «geborgt», und May hatte nie etwas
gesagt. Die beiden Male, als Jeffrey von einem Hilfssheriff angehalten worden war, hatte May sogar darauf beharrt,
sie habe ihrem Sohn die Erlaubnis gegeben.
Jeffrey fuhr ziellos durch die Straßen. Er fühlte sich,
als wäre jemand gestorben. Vielleicht war es auch so. Auf einmal war da wieder das alte Gefühl, keine Kontrolle über
sein Leben zu haben. Jeffrey befand sich im Auge eines
Orkans, der alles verwüstete.
Er konnte es nicht fassen, dass Robert all die Jahre auch nur eine Minute geglaubt hatte, dass Jeffrey Julia Kendall getötet haben könnte. In Hoss' Büro war Jeffrey fast ausgerastet, als Robert diese Frage gestellt hatte. Doch selbst,
als er es abgestritten hatte und Robert zu erklären versucht
hatte, was wirklich passiert war, hatte der nur den Kopf ge‐
schüttelt, als wollte er nicht hören, was für Lügen Jeffrey ihm diesmal auftischte, um seine Tat zu vertuschen.
«Es spielt keine Rolle», hatte Robert gesagt. «Ich nehme
es auf mich.»
Jeffrey stellte fest, dass er ganz in der Nähe des Bestattungsinstituts war. Spontan machte er einen unerlaubten
U‐Turn und fuhr auf den Parkplatz. Er parkte hinter dem
Haus und hoffte, Deacon White würde den Wagen nicht
abschleppen lassen. Jeffrey hatte es so satt, dass er sich ständig alles borgen musste, Autos, Schuhe. Er wollte nach
Hause, in seine Stadt, in sein Bett. Er wollte allein sein. Die
Höhle war der einzige Ort, der ihm einfiel, der ein wenig Frieden versprach.
Als niemand aus dem Gebäude kam, um sich zu be‐
schweren, stieg Jeffrey aus und lief über den Friedhof. Irgendwo hier lag sein Großvater, aber Jimmy Tolliver hatte seinen Namen nie erwähnt. Jeffrey nahm an, dass Jimmy
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alles, was er über das Thema Elternschaft wusste, von seinem Vater hatte, und das war nicht sehr viel. Jeffrey hatte
nie das Bedürfnis verspürt, unbedingt ein Kind zeugen
und seine Gene weitergeben zu müssen. Vielleicht berich‐
tigte die Natur mit ihm einen Fehler. Manche Menschen
sollten ihr Blut nicht weitergeben.
Als er in den Wald lief, musste Jeffrey an Sara denken.
Offensichtlich glaubte sie Lane Kendall jedes Wort, egal,
was für eine Lügnerin diese Frau war. Jeffrey spürte das brennende Schamgefühl noch genau wie damals, als Lane
ihn vor der ganzen Stadt verleumdet hatte. Als sie behaup‐
tete, er habe ihre Tochter vergewaltigt, obwohl Julia ihre Geschichte so oft umgemodelt hatte, dass sie schon bald
selbst die Übersicht verlor.
Was war Vergewaltigung eigentlich? Die Leute dachten
immer an einen brutalen Akt, an einen verrückten Psy‐
chopathen, der eine Frau unter Mordandrohung zwingt,
die Beine breit zu machen. Julia war mit einer Menge
Jungs zusammen gewesen, und Jeffrey war überzeugt,
dass sie keinen davon wirklich gewollt hatte. Sie hatte sich
Liebe und Bestätigung erkaufen wollen, und Sex war ihre
Währung. Und wahrscheinlich hatten die meisten Jungs,
die mit ihr gegangen waren, das genau gewusst, doch in
dem Alter fiel es schwer, darauf Rücksicht zu nehmen.
Wenn sich ein Mädchen nur ein bisschen willig zeigte, war man schon fast am Ziel. Nett zu Julia zu sein, bevor sie den
Rock hob, und sie danach ein paar Minuten im Arm zu
halten, war ihr Preis. Manche Jungs machten sogar Witze
darüber, wer was getan hatte, um in ihr Höschen zu kom‐
men. An dem Tag, als Julia mit der verdammten Kette auf‐
tauchte und glaubte, sie hätte endlich jemand gefunden,
der sie liebte, hatten sich alle das Maul zerrissen. Der arme
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Trottel hatte sich wahrscheinlich ins Hemd gemacht, als
sie anfing, damit hausieren zu gehen.
Vielleicht hatte der Kerl Mitleid mit ihr bekommen, als
ihm auffiel, dass sie nicht so viel Spaß hatte wie er, wenn er
in ihrem Mund kam. Aber wer konnte schon von sich be‐
haupten, noch nie mit einer Frau geschlafen zu haben, die
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