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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
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ausgemacht.»
    «Für Jeffrey gilt das Gleiche», sagte Sara. Sie erinnerte sich, wie sie ihm einmal Blut abgenommen hatte. Er hatte nicht stärker geblutet als normal. Plötzlich schämte sich
    Sara allein für den Gedanken. Sie hatte nie geglaubt, dass Jeffrey für eins der beiden Verbrechen verantwortlich sein könnte, doch tief in ihrem Innern war sie erleichtert, einen
    unanfechtbaren Beweis zu haben.
    «Ich könnte mich mal umhören», schlug Nell vor.
    «Es gibt graduelle Unterschiede», sagte Sara. «Manche
    haben es und wissen es gar nicht. Bei Frauen ist es wegen

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    der Monatsblutung leichter festzustellen. Normalerweise
    wissen sie, dass etwas nicht in Ordnung ist. Es muss also vom Vater kommen.»
    «Eine Nadel im Heuhafen», sagte Nell. «Wer weiß, viel‐
    leicht hatte es Dan Phillips.» Sara sah sie fragend an. «Der,
    der zur gleichen Zeit abgehauen ist wie Julia.» Sie griff nach dem Album und blätterte weiter. «Hier», sagte sie
    und zeigte auf einen jungen Mann, der in der hinteren
    Reihe des Mannschaftsfotos stand.
    «Er sieht gar nicht wie ein Footballspieler aus», be‐
    merkte Sara. Phillips war schmal und trug das schwarze
    Haar nach hinten gekämmt.
    «Er war beim Training dabei. Den Kerlen ging es doch
    nur darum, im Team zu sein und die Letterman –Jacke zu
    tragen. Wenn du in den Heimwerkerladen gehst, hörst du
    sie heute noch von damals reden, als hätten sie den verdammten Superbowl gewonnen.»
    «Die gute alte Zeit», seufzte Sara. In Grant County war
    es dasselbe. Sie blätterte die Seite um und sah sich die anderen Fotos an. Sie entdeckte einen Schnappschuss in
    Schwarzweiß von Jared vor ein paar Jahren. «Er wird mal
    ein hübscher Mann.»
    «Du wirst es Jeffrey doch nicht erzählen, oder?» Nell
    lächelte gezwungen. «Du brauchst nicht zu antworten.»
    Nell legte das Album zurück in das Fach unter dem Couch‐
    tisch. «Willst du immer noch abfahren?»
    «Ich weiß nicht.»
    «Bleib noch.» Nell tätschelte ihr das Bein. «Ich backe
    heute Abend Maisbrot.»
    «Wo ist Robert?»
    «Possum ist mit ihm Klamotten kaufen gegangen»,
    sagte sie. «Robert wollte nicht ins Haus zurück, und wer 367
    weiß, was Jessie bei ihrer Mutter mit seinem Zeug ge‐
    macht hat.»
    «Was ist mit ihm?»
    «Er wird schon wieder.»
    «Nein», sagte Sara, «ich meine, was ist mit Robert? Wir
    haben die ganze Zeit von Jeffrey gesprochen. Hast du je ge‐
    glaubt, Robert könnte etwas mit Julia zu tun gehabt haben?»
    Nell dachte nach, bevor sie antwortete. «Er hatte immer
    seine Geheimnisse.»
    «Inwiefern?»
    «Vielleicht ist ‹Geheimnis› das falsche Wort. Er ist einfach sehr zurückhaltend. Redet nicht viel über seine Gefühle.»
    «Jeffrey auch nicht.»
    «Das ist was anderes. Robert lässt niemanden näher an
    sich ran.» Sie sank in die Couch zurück. «Alle haben immer gedacht, dass Possum der Außenseiter war, aber ich glaube,
    eigentlich war es Robert. Er war immer ein bisschen an‐
    ders. Nicht dass Jeffrey ihn so behandelt hätte. Robert hat
    immer abgewartet, was Jeffrey tat, bevor er gehandelt hat.»
    «Aber das ist bei Teenagern doch ganz normal.»
    «Es war mehr als das», sagte Nell. «Wenn Jeffrey in
    Schwierigkeiten geriet, nahm Robert die Schuld auf sich.
    Er war Jeffreys Sicherheitsnetz, und Jeffrey hat es akzep-tiert.» Sie sah Sara an. «Kaum dass Jeffrey weg war, hat Ro‐
    bert das Gleiche für Hoss gemacht. Er würde für beide je-derzeit den Kopf hinhalten, und das ist nicht übertrieben.»
    Sara zögerte, dann sagte sie: «Robert sagt, er hätte Julia
    umgebracht.»
    Irgendwas an Nells Ausdruck veränderte sich, doch Sara
    kam nicht drauf, was es war. Auch ihre Stimme klang
    plötzlich anders. «Das kann ich mir nicht vorstellen.»
    «Nein», sagte Sara. «Ich mir auch nicht.»

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KAPITEL ZWANZIG

    effrey entdeckte den Impala seiner Mutter vor dem
    J Krankenhaus. Sie hätte genauso gut zu Fuß zur Arbeit
    gehen können, doch May Tolhver wollte ihren ersten Drink
    nach der Schicht in der Krankenhaus‐Cafeteria nicht un‐
    nötig hinauszögern.
    Wie immer hatte sie die Fenster offen gelassen, damit
    sich der Wagen nicht in einen Backofen verwandelte. Jef‐
    frey roch schalen Zigarettenrauch, als er die Tür öffnete.
    Seine Mutter bewahrte einen Zweitschlüssel im Hand‐
    schuhfach auf. Er fand ihn unter einem Stoß kirchlicher
    Flugblätter und Hochglanzpamphlete, die wohl mal unter
    dem Scheibenwischer geklemmt hatten. May mochte eine
    kettenrauchende

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