Schattenblume
House war Luke Swans
Haus ein so abgewrackter Schuppen, dass die Swans kur‐
zerhand in einen Wohnwagen in der Einfahrt gezogen
waren. Auf der Veranda stapelten sich Zeitungen und
Zeitschriften und warteten nur auf die brennende Zigaret‐
tenkippe, die dem Ganzen den Rest geben würde. Es stank
nach Armut und Hoffnungslosigkeit, und Jeffrey dachte
nicht zum ersten Mal, dass große Teile des ländlichen Sü‐
dens sich immer noch nicht von der Zeit nach dem Bürger‐
krieg erholt hatten.
Als Jeffrey auf der Schotterpiste vor dem Haus parkte,
rannten sechs oder sieben Hunde auf das Auto zu – die ty‐
pische Alarmanlage der Hinterwäldler. Vor der Einfahrt
reckte sich ein majestätischer Briefkasten mindestens einen
Meter fünfzig in die Höhe, auf dem in verschnörkelter
Schrift die Hausnummer stand. Jeffrey verglich die Num‐
mer noch einmal mit der Seite aus dem Telefonbuch, die er
aus der Telefonzelle vor dem Yonders Blossom herausgerissen hatte. Das Telefonbuch war mindestens zehn Jahre
alt, aber in Sylacauga zogen die Leute nicht allzu häufig um. Es gab nur zwei Swans in der Stadt, und Jeffrey hatte geraten, dass Luke nichts mit den Swans zu tun hatte, die in der Nähe des Country Club wohnten.
377
«Haut ab!», schrie eine Frau die Hunde an, als Jeffrey
aus dem Wagen stieg. Die Tiere trollten sich, und die alte Frau trat auf die provisorische Terrasse aus Waschbeton-platten vor dem Wohnwagen hinaus. Sie stützte sich
schwer auf einen Stock, und ihre Wangen waren eingefal‐
len, wahrscheinlich hatte sie ihre Zähne in einem Glas im Wohnwagen gelassen.
Sie fragte: «Kommen Sie wegen dem Kabel?»
«Äh ...» Jeffrey warf einen Blick auf den Wagen seiner
Mutter und fragte sich, was die Frau dachte. «Nein, Ma'am.
Ich bin gekommen, um mit Ihnen über Luke zu sprechen.»
Mit einer knorrigen alten Hand zog sie den Morgen‐
mantel enger um sich. Als er näher kam, begriff er, dass sie
kaum etwas sah.
Als hätte sie seine Gedanken erraten, erklärte sie: «Ich
hab grauen Star.»
Sie sprach mit so breitem Dialekt, dass Jeffrey sie kaum verstand. «Das tut mir Leid.»
«Sie können ja nix dafür», sagte sie resigniert. «Kom‐
men Sie rein. Obacht, Stufe. Mein Enkel wollte sie repa‐
rieren, aber, naja, Sie wissen ja, was passiert is.»
«Ja, Ma'am», sagte Jeffrey und trat vorsichtig auf die
unterste Stufe. Der Stein bewegte sich, und er sah, dass der
Regen die Erde unter dem Wohnwagen wegspülte. Mit
dem Fuß schob er ein wenig Erde und Steine unter den
Ziegel, dann folgte er der Frau in den Wohnwagen.
«Hab nicht viel zu bieten», sagte die alte Frau, die Un-tertreibung des Jahrhunderts. Der Wohnwagen war ein
Saustall, und man hatte das Gefühl, von den Wänden er‐
drückt zu werden. Auch hier stapelten sich überall Zeitungen und Zeitschriften, und Jeffrey fragte sich, warum sie den ganzen Kram aufbewahrte.
378
«Mein Mann, Gott hab ihn selig, war 'n großer Leser.»
Sie deutete auf die Zeitschriftenstapel. «Hab's nicht übers Herz gebracht, das Zeug wegzuschmeißen, als er gestorben is.» Sie fügte hinzu: «Hatte 'n Emphysem. Sie rauchen doch nich, oder?»
«Nein, Ma'am», sagte er und versuchte, ihr in den
Hauptraum zu folgen, eine Kombination aus Küche, Wohn‐
zimmer und Esszimmer auf kaum einem Quadratmeter
Fläche. Es stank nach Hühnerfett und Schweiß mit der
leicht medizinischen Note älterer Menschen, die nicht
mehr auf sich achten.
«Das is gut», sagte sie und tastete sich zu ihrem Sessel vor. «Rauchen is schlimm. Schrecklicher Tod.»
Neben sich entdeckte Jeffrey einen Stapel der Zeit‐
schrift Guns & Ammunition, daneben lagen Heftchen mit noch weniger jugendfreiem Inhalt. Jeffrey sah die alte
Frau an und fragte sich, ob sie wusste, dass sie weniger als
einen Meter neben der Penthouse ‐Weihnachtsausgabe
von 1978 stand.
Sie sagte: «Setzen Sie sich nur, wenn Sie 'n Platz finden.
Das Zeug können Sie einfach wegschieben. Mein Luke hat
immer hier gesessen und mir vorgelesen.» Sie tastete hin‐
ter sich nach dem Sessel. Jeffrey nahm sie am Ellbogen
und half ihr, sich zu setzen. «Ich mag das National Geo-graphic. Das Reader's Digest wird mir auf die alten Tage 'n bisschen zu freizügig.»
Er fragte: «Kommt denn jemand zu Ihnen, der Ihnen
hilft?»
«Nur Luke», sagte sie. «Seine Mutter is mit 'nem Ver‐
treter abgehauen. Sein Daddy Ernest, das war mein Jüngs‐
ter. Na ja, aus dem is nie was geworden. Is im
Weitere Kostenlose Bücher