Schattenblume
dass er schwul ist?»
Er zuckte die Achseln.
«Jeff?»
Er küsste ihre Finger und versuchte vom Thema abzu‐
lenken. «Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich ge-fühlt habe, als ich dich unter dem Schaukelstuhl fand. Was
mir alles durch den Kopf gegangen ist.»
Sie wartete auf seine Antwort.
«Ich weiß nicht, wie ich dazu stehe», sagte er dann. «Ich würde ihn am liebsten verprügeln für das, was er dir angetan hat.» Wieder packte ihn die Wut. «Das ...», er schüttelte den Kopf, versuchte sich zu beruhigen. «Ich schwöre,
wenn ich ihn je in die Finger kriege, wird er dafür büßen.»
«Er war verzweifelt», entgegnete sie. Jeffrey verstand
nicht, wie sie Robert noch entschuldigen konnte. «Was ist schlimmer?», fragte sie. «Was er mir angetan hat oder die Tatsache, dass er schwul ist?»
Jeffrey wusste nicht, was er antworten sollte. «Ich weiß
nur, dass er mich all die Jahre angelogen hat.»
«Hättest du dich denn noch mit ihm abgegeben?»
«Das werden wir jetzt wohl nicht mehr rausfinden,
oder?»
Sara ließ seine Worte im Raum stehen.
438
«Als ich Roberts Jacke bei Swan gefunden habe ...»
Er lehnte sich zurück, ließ ihre Hand los und ver‐
schränkte die Arme vor der Brust. Seine eigene Letter‐
man‐Jacke hatte Jeffrey ganz hinten in seinem Schrank
verstaut, und selbst wenn er sie nie trug, brachte er es nicht übers Herz, sie zur Altkleidersammlung zu geben. Er war schlimmer als die Freizeit‐Quarterbacks im Heimwerkermarkt und hing an der Jacke, als könnte er damit
seine Jugend festhalten.
Er sagte zu Sara: «Ich weiß es nicht. Als ich seine Jacke sah, kam mir der Gedanke, ob da vielleicht mehr zwischen ihm und Swan war. Doch nur für einen Sekundenbruch-teil. Dann dachte ich: So ein Quatsch. Robert ist doch
keine ...» Jeffrey seufzte tief. Er würde das Wort nie wieder verwenden. Wahrscheinlich hätte er es nie benutzen
sollen. «Ich bin aufs Revier gegangen, um mit Hoss zu
sprechen, aber er war nicht da.»
Jeffrey verschwieg, dass er nach dem Besuch bei der
alten Mrs. Swan instinktiv zu Sara wollte und den Umweg
zum Revier nur gemacht hatte, um sich zu beweisen, dass
er sie nicht brauchte. Wäre er nur nicht so stur gewesen, dann hätte er Robert aufhalten können, bevor die Dinge
außer Kontrolle gerieten. Er hätte sie beschützen können.
Sara wusste davon nichts, als sie weiterbohrte. «Stört es dich, dass er schwul ist?»
«Ich kann die Dinge nicht so sauber auseinander halten,
Sara, das ist das Problem. Ich bin wütend auf ihn, dass er dir das angetan hat. Ich bin wütend auf ihn, weil er Jessie nicht angezeigt hat, weil er zugelassen hat, dass sich diese
ganze Scheiße zusammenbraut, ohne etwas zu unterneh‐
men. Ich bin wütend auf ihn, weil er abgehauen ist und
Possum mit der Kaution sitzen lässt.»
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«Er hat gesagt, er schickt das Geld.»
«Schön, aber trotzdem muss ich mich erkundigen, ob
ich meine Rentenversicherung auflösen kann, sobald wir
wieder zu Hause sind.» Er dachte an Possums geschwolle‐
nen Kiefer und wie er abgewinkt hatte, als Jeffrey sich für den Schlag entschuldigen wollte. Jeffrey würde Possum
mit der finanziellen Belastung nicht allein lassen.
«Was noch?», fragte sie. «Weshalb bist du noch wütend
auf ihn?»
Er stand auf, er musste sich bewegen. «Dass er mir
nichts gesagt hat.» Er blickte den Gang hinunter, in einer der Zellen hörte man einen Häftling fluchen. «Wenn du
nicht gewesen wärst, dann würden jetzt alle denken, er ist
auf der Flucht, weil er einen Mann ermordet hat. Wir würden weder von Jessies Schuld wissen noch von seiner Be‐
ziehung zu Swan, oder wie man das nennt. Wir wüssten
nur, dass er ein Mörder auf der Flucht ist.» Jeffrey blieb stehen und drehte sich zu Sara um. «Er hätte mir vertrauen sollen.»
Sie sah ihn eine Weile an, wählte ihre Worte mit Be‐
dacht. «Mein Vetter Hare hatte Probleme am College», be‐
gann sie. «Gestern war er noch bei allen auf dem Campus beliebt gewesen, heute bekam er plötzlich Morddrohun-gen.»
Jeffrey hatte bei alldem nicht an Saras Vetter gedacht,
und jetzt fragte er sich, ob Sara sich auf Roberts Seite stellte, um bei Hare etwas gutzumachen. «Was ist passiert?»
«Es kam raus», sagte sie. «Er hatte diesen Freund, sei‐
nen Mitbewohner. Sie waren unzertrennlich. Als die Leute
anfingen zu reden, hat Hare es gar nicht erst geleugnet. Er
war völlig überrascht, dass jemand ein Problem damit ha‐
ben
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