Schattenblume
in deiner Familie einen Fall von Blutgerin‐
nungsstörungen?», fragte sie in einem Tonfall, als hätte
sie einen Dreijährigen vor sich.
«Wovon redest du?»
«Blutgerinnungsstörung», wiederholte sie, als erklärte
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das alles. «Lane Kendall sagt, Eric hat eine Blutungsstö‐
rung.»
Jeffrey verstand nicht, worauf sie hinauswollte. Er hatte
versucht, das unselige Treffen mit Lane Kendall so gut es ging zu verdrängen und wollte das Ganze nicht noch einmal durchkauen.
Sie sagte: «Ich habe ihn nicht untersucht, aber nach
dem, was mir Nell erzählt hat, klingt es nach dem Willebrand‐Syndrom. »
Er wartete.
«Sein Blut gerinnt nicht.»
«Wie bei einem Bluter?»
«So ähnlich», antwortete sie. «Das Willebrand‐Syn‐
drom ist eine abgemilderte Form der Bluterkrankheit.
Manche Leute wissen nicht mal, dass sie es haben. Sie den‐
ken, sie haben einfach dünne Haut. Erics blaue Flecken war
geschwollen, er hatte Beulen. Das ist ein Symptom.»
Jeffrey spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstell‐
ten.
Sein Ausdruck schien ihn zu verraten, denn Sara fragte:
«Was ist?»
Er schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hatte ihn das
ganze Drama um Robert etwas paranoid gemacht. «Könn‐
te die Krankheit nicht aus Lanes Familie kommen? Oder
von Julias Vater?»
«Theoretisch», antwortete sie, doch ihr Ton machte klar,
dass sie es für unwahrscheinlich hielt. «Frauen wissen es normalerweise, wenn sie es haben. Ihre Menstruation ist
extrem stark. Oft wird eine Hysterektomie vorgenom‐
men, obwohl es gar nicht nötig wäre. Es ist keine leichte Diagnose, die wenigsten Ärzte denken daran.» Sie fügte
hinzu: «Bei so vielen Kindern hätte Lane gewusst, wenn
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sie es hätte. Schwangerschaften können für Frauen mit
Blutungsstörungen ein großes Risiko darstellen.»
Jeffrey starrte sie an, in seinem Kopf arbeiteten die
Synapsen. Er hatte das Gefühl, jemand ramme ihm eine
Faust in den Bauch. «Was, wenn jemand häufiger Nasen‐
bluten hat?»
Sie runzelte die Brauen. «An wen denkst du?»
«Antworte einfach, Sara. Bitte antworte.»
«Könnte sein», sagte sie. «Nasenbluten, Zahnfleisch‐
bluten. Wunden, die nicht verheilen wollen.»
«Und du bist sicher, dass es vererblich ist?»
«Ja.»
«Scheiße», flüsterte er. So desolat die Lage bis vor fünf Minuten gewesen war, jetzt war alles schlimmer geworden, als er es je für möglich gehalten hätte.
«Woran denkst –»
Beide blickten auf, als die Eingangstür aufging.
«Tut mir Leid, dass ich so lange gebraucht hab», erklärte Hoss und kramte in der Tasche nach seinem Schlüssel.
Jeffrey bewegte sich nicht.
Hoss sah Sara an und musterte ihre Wunden und
blauen Flecken. «Ich hätte nie gedacht, dass Robert in der Lage ist, einer Frau so etwas anzutun», sagte er. «Aber ich
schätze, er war eben einfach nicht der Mensch, für den ich
ihn gehalten habe. »
«Es geht schon wieder», sagte Sara und lächelte matt.
«Na gut», sagte Hoss und schloss die Tür seines Büros
auf. Er knipste das Licht an, ging zu seinem Schreibtisch und sah die Papiere durch, die dort bereitlagen. «Kommt
rein, bringen wir's hinter uns.»
Sara sah Jeffrey forschend an, und er beantwortete die
stumme Frage mit einem Nicken.
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Als Hoss merkte, dass Jeffrey immer noch in der Tür
stand, fragte er: «Slick? Gibt es ein Problem?»
Sara legte Jeffrey die Hand auf die Schulter. «Soll ich
mit reinkommen oder draußen warten?»
«Schon gut», sagte Hoss, der offensichtlich dachte, sie
hätte ihn gefragt.
«Ich warte draußen.» Sie drückte Jeffreys Schulter, und
irgendwie gab ihm ihre Zuversicht, dass er das Richtige
tat, die Kraft, in das Büro des Sheriffs zu gehen.
Die Tür schloss sich mit einem Klicken, als er sich auf den Stuhl vor Hoss' Schreibtisch setzte.
«Das Ganze hat ihr wohl ordentlich zugesetzt, was?»,
sagte Hoss. Er nahm einen Bericht in die Hand und über‐
flog ihn. «Ich habe Reggie losgeschickt, Jessie zu holen.
Mein Gott, was für ein Durcheinander. Sie wird sich sicher mit Händen und Füßen wehren.»
«Wir wissen immer noch nicht, was mit Julia geschehen
ist.»
«Robert hat gestanden.»
«Robert hat eine Menge Dinge gestanden, die er nicht
getan hat.»
«Ich weiß nicht, ob wir ihm jetzt noch trauen können,
nach dem, was wir von ihm wissen.»
«Sie glauben, weil er schwul ist, macht ihn das fähig,
einen Mord zu begehen?»
«In meinen Augen macht ihn das zu allem fähig»,
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