Schattenblume
die ganze Zeit auf euch gewartet.
Ich hab gewartet, dass ihr kommt und mich von ihr weg‐
holt.» Er klang wie ein Kind. «Weißt du, was sie mit mir gemacht hat? Weißt du, wie weh sie mir getan hat?»
Innerlich schrie Lena: «Er weiß, dass es Jeffrey ist»,
doch sie biss die Zähne zusammen. Welches kranke Spiel
Smith auch trieb, es musste noch ein bisschen weiterge‐
hen. Noch ein paar Sekunden, dann wäre alles vorbei.
Lena starrte auf seine Uhr.
15:31:43.
«Wir konnten dir nicht helfen», sagte Sara. «Eric, Jef‐
frey ist nicht dein Vater.»
434
Lena sah Brad an. Er hob die Braue, als wollte er sagen:
«Ich bin so weit, wenn du es bist.»
Smith knurrte: «Du verfluchte Lügnerin.»
«Ich lüge nicht», sagte Sara, sie klang jetzt vollkommen
sicher. «Ich sage dir, wer dein Vater ist, aber du musst sie gehen lassen.»
«Gehen lassen?», zischte Smith. Er zog die Sig Sauer
aus dem Gürtel, seine andere Hand lag immer noch auf
seinem Schenkel.
15:31:51.
Lena schluckte, obwohl ihr Mund völlig ausgetrocknet
war. Im Hintergrund sah sie, wie Brad auf Sonny zuging.
«Wen soll ich gehen lassen?», fragte Smith langsam,
offensichtlich machte ihm das Spiel Spaß. Er grinste zu
Jeffrey hinunter. «Meinst du ihn hier? Matt?» Wieder
betonte er das T so, dass Spucke aus seinem Mund spritzte.
Sara zögerte einen Moment zu lang.
«Das ist nicht Matt», sagte Smith und spannte den Hahn. «Das ist Jeffrey.»
«Jetzt! », schrie Lena und stürzte sich auf Smith. Sie stieß
ihm das Messer in die Kehle, spürte, wie ihre Finger an der
Klinge abrutschten und das Metall tief in ihre Haut schnitt.
Sara war Sekunden nach Lena aufgesprungen und wand
Smith die Sig Sauer aus der Hand, während weiter vorn im
Raum ein Schuss fiel. Die drei kleinen Mädchen begannen
zu kreischen, als das Glas des Eingangstür zerbarst.
GBI‐Agenten stürmten das Revier. Brad stand über
Sonny und hielt ihm die Mündung der Flinte ins Gesicht,
ein Fuß auf seiner Brust.
«Steh auf», sagte Sara zu Lena und stieß sie von Smith
weg. Lena rutschte in einer Blutlache aus, während Sara
ihn auf den Rücken legte.
435
«Einen Krankenwagen», rief Sara. Mit beiden Händen
drückte sie auf die Wunde an Smiths Hals, um die Blutung zu stillen. Es war ein aussichtsloser Kampf. Überall war
Blut, es schoss aus der Schlagader wie aus einem Spring‐
brunnen. Lena hatte noch nie so viel Blut gesehen. Es
spritzte immer weiter.
«Helft mir», japste Smith.
«Du schaffst das», beruhigte ihn Sara. «Halt durch.»
«Er hat Menschen getötet», protestierte Lena. Sara
musste verrückt geworden sein. «Er hat versucht, Jeffrey
umzubringen.»
«Hol den Krankenwagen», wiederholte Sara. «Bitte»,
flehte sie, während sie die Hände auf die klaffende Wunde
drückte. «Bitte. Er braucht Hilfe.»
436
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
Dienstag
effrey ließ sich auf einen der Stühle fallen, die draußen J vor Hoss' Büro standen. Nach den vergangenen Tagen
wusste er, was mit dem Ausdruck gemeint war, einem laste
das Gewicht der ganzen Welt auf den Schultern. Jeffrey
hatte das Gefühl, auf seinen Schultern lasteten zwei
Welten,
und auf keiner von beiden ging es besonders zivilisiert zu.
Sara setzte sich neben ihn. «Wird Zeit, dass wir wieder
nach Hause kommen, was?»
«Ja.»
Seit er hier war, hatte Jeffrey nur noch fortgewollt aus dieser Stadt. Und doch hatte er das Gefühl, dass alles, was
er zum Leben brauchte, hier bei ihm war. Wie immer
schien Sara zu wissen, was er dachte, und als sie die Hand
auf sein Bein legte, verschränkte er die Finger mit ihren und fragte sich, wie sein Leben gleichzeitig so kaputt und so schön sein konnte.
«Hat er gesagt, wie lange es dauert?», fragte Sara.
«Ich glaube, er wartet immer noch darauf, dass ich sage, es war alles nur ein übler Scherz.»
«Es wird schon gut gehen», sagte sie und drückte seine
Hand.
437
Jeffrey sah über den dunklen Flur, der zu den Gefäng‐
niszellen führte, und hoffte, dass er sich nicht von seinen Gefühlen übermannen lassen würde. Sara war so gut darin, vernünftig zu handeln, dass es ihm manchmal Angst
machte. Er kannte niemanden, der so wie sie mit allem fer‐
tig wurde, was sich ihr in den Weg stellte, und er fragte sich, welchen Platz in ihrem Leben er einnehmen könnte.
Sara unterbrach seinen Gedankengang. Sie sprach die
Frage aus, die er sich nicht zu stellen wagte. «Denkst du jetzt anders über ihn, jetzt wo du weißt,
Weitere Kostenlose Bücher