Schattenblume
haben glattere Knochen.»
Sie stellte den Brenner ab, hielt das Lötmittel dagegen und sah zu, wie es verschmolz. Dann fuhr sie fort. «AmSchambein ist eine Vertiefung. Wenn eine Frau ein Kind bekommt, entsteht an der Stelle, wo sich die Knochen für den Kopf des Babys auseinander schieben, eine Einkerbung.»
Jeffrey schien die Luft anzuhalten. Als Sara nicht weitererzählte, fragte er: «Hatte sie ein Kind?»
«Ja», sagte sie. «Sie hatte ein Kind.»
Jeffrey legte das Rohr vor sich auf den Boden.
«Wer ist Julia?»
Er atmete langsam aus. «Hat Nell es dir nicht gesagt?»
«Sie hat gesagt, ich soll dich fragen.»
Jeffrey lehnte sich gegen den Küchenschrank und ging in die Hocke. Er sah ihr nicht in die Augen. «Es ist lange her.»
«Wie lange?»
«Zehn Jahre, schätze ich. Vielleicht länger.»
«Und?»
«Und sie war … Ich weiß nicht. Es klingt vielleicht schlimm, aber sie war so etwas wie die Dorfnutte.» Er wischte sich über den Mund. «Sie hat alles gemacht. Du weißt schon, die Jungs angefasst.» Er sah sie kurz an, dann sah er wieder weg. «Es ging das Gerücht, dass sie einem einen bläst, wenn man ihr was spendierte. Kleider, Mittagessen, irgendwas. Sie hatte nicht viel und …»
«Wie alt war sie da?»
«So alt wie wir», sagte er. «Sie war bei Robert und mir in der Klasse.»
Sara dämmerte, worauf es hinauslief. «Hast du ihr mal was spendiert?»
Er sah gekränkt aus. «Nein», sagte er. «Ich musste für so was nicht bezahlen.»
«Natürlich nicht.»
«Willst du die Geschichte hören oder nicht?»
«Ich will, dass du mir sagst, was passiert ist.»
«Irgendwann war sie einfach weg», sagte Jeffrey mit einem Achselzucken. «An einem Tag war sie noch da, am nächsten war sie fort.»
«Da steckt doch mehr dahinter.»
«Ich …» Er brach ab. «Das hier habe ich gestern in der Höhle gefunden», sagte er dann und griff in die Hosentasche. Sara sah die Kette mit dem Medaillon.
«Warum hast du mir gestern nichts davon gesagt?»
Er öffnete das Medaillon und sah hinein. «Ich weiß nicht. Ich habe einfach –» Er hielt inne. «Ich wollte nicht, dass du noch mehr miese Gerüchte über mich hörst.»
«Was für miese Gerüchte?»
«Gerede», sagte er, und ihre Blicke trafen sich. «Es ist nur Gerede, Sara. Der ewige alte Mist, der an mir klebt. Wenn man hier einmal einen Fehler macht, schieben einem die Leute einfach alles in die Schuhe.»
«Und was für einen Fehler hast du gemacht?»
Jeffrey hielt ihr die Kette hin. «Als ich Hoss das hier gezeigt habe, wollte er nichts davon wissen.»
Sara sah sich das billige goldene Herz mit den Fotos an. Die Kinder waren noch Säuglinge, wahrscheinlich erst ein paar Wochen alt.
Jeffrey sagte: «Sie hat es immer getragen. Jeder wusste das, nicht nur ich.» Er lachte bitter. «Niemand wusste, was sie dafür getan hatte. Keiner wollte es gewesen sein, verstehst du? Einmal kam sie mit einem neuen Kleid zur Schule, und wir haben uns das Maul darüber zerrissen, wer es ihr gekauft und was sie dafür getan hatte. Das hier» – er zeigte auf die Kette –, «sie hat es überall rumgezeigt. Sie wusste es nicht besser. Sie dachte, es wäre teuer. Es ist nichtmal echtes Gold, nur vergoldet.» Er ließ die Schultern hängen. «Keine Ahnung, was sie dafür getan hat.»
«Es sieht alt aus», sagte Sara.
Er zuckte die Achseln.
«Was ist mit den Fotos?»
Er nahm das Medaillon und sah sich die Fotos an. «Keine Ahnung.»
«Also hast du gestern in der Höhle gewusst, dass sie es war?» Sara fragte sich, warum er nicht gleich etwas gesagt hatte.
«Ich wollte nicht glauben, dass sie es ist», sagte Jeffrey. «Ich habe mich ein Leben lang wegen Sachen geschämt, für die ich nichts konnte.» Er seufzte. «Meine Eltern, das Haus, in dem ich wohnte, die Klamotten, die ich anhatte. Ich wollte besser sein als die Verhältnisse, aus denen ich kam.» Er ließ den Blick durch die Küche schweifen. «Des wegen bin ich weggegangen, deswegen wollte ich unbedingt fort von hier und nie wiederkommen. Ich hatte es satt, Jimmy Tollivers Sohn zu sein. Ich hatte es satt, dass mich die Leute auf der Straße anstarrten und nur darauf warteten, dass ich was falsch machte.»
Sara wartete.
«Du hast erkannt, dass in mir was Gutes steckt.»
Sie nickte.
«Warum?», fragte er. Er suchte offenbar wirklich eine Antwort auf diese Frage.
«Ich weiß nicht …» Sie brach ab und zuckte die Achseln. «Ich wünschte, ich wüsste es. Mein Kopf sagt mir alles
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