Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
ihm.»
    «Ich habe noch nie so für einen Mann empfunden», sagte Sara. «Für niemanden.» Sie versuchte, die richtigen Worte zu finden. «Ich habe das Gefühl, es ist nichts mehrunter meiner Kontrolle. Egal, was mein Kopf mir rät, tief in mir ist etwas, das sagt: ‹Hör nicht auf die Leute. Du kannst ohne ihn nicht leben.›»
    Nell sagte: «Diese Wirkung hat er auf Frauen.»
    «Ich will nur   …» Sie drehte die Handflächen nach oben. «Ich weiß nicht, was ich will.» Dann zupfte sie wieder an dem Faden. «Ich kann ihm noch nicht mal ins Gesicht sagen, dass ich ihn liebe, aber jedes Mal, wenn ich ihn sehe, wenn ich nur an ihn denke   …»
    Nell gab ihr noch ein Tuch. «Ich hab es nie geglaubt», sagte sie. «Das Gerücht über ihn und Julia.»
    «Welches Gerücht?»
    «Es hieß, dass Jeffrey und Robert sie im Wald vergewaltigt hätten.»
    Sara biss sich auf die Unterlippe. Nell sagte die Worte ganz nüchtern, doch sie taten ihre Wirkung. Das kleine Wort «vergewaltigt» war so unerhört profan.
    «Sie war eine Schlampe», sagte Nell. «Nicht dass das irgendwas entschuldigt. Gott, meine Schwester Marinell war schlimmer, aber sie prahlte wenigstens nicht damit.»
    «Erzähl mir alles», bat Sara. «Jeffrey will mir nichts sagen.»
    Nell zuckte die Achseln. «Sie hat Dinge mit den Jungs gemacht. Ich weiß nicht, heute klingt es lächerlich, aber damals hat man so was einfach nicht getan.» Sie berichtigte sich. «Na ja, man hat’s getan, aber man hat es eben für sich behalten.»
    «Ich weiß es noch gut», sagte Sara. Aus Angst hatte sie am Anfang nicht mit Steve Mann geschlafen, und später schämte sie sich so, dass sie es nicht genießen konnte.
    «Julia war nicht hübsch», sagte Nell. «Auch nicht hässlich, aber die Sorte Mädchen hat was an sich, das sie unansehnlichmacht. Die Art, wie sie sich an jeden klammern, der ihnen ein bisschen Bestätigung gibt.» Sie starrte auf die Familienfotos an der Wand. «Wenn ich mir Jen ansehe, wird mir manchmal ganz anders, weil ich das Gefühl hab, ich sehe diese Abhängigkeit auch bei ihr. Sie ist noch nicht mal ein Teenager, aber sie hat jetzt schon diesen übertriebenen Drang nach Bestätigung.»
    «Die meisten Mädchen sind so.»
    «Wirklich?»
    «Ja», sagte Sara. «Manche können es nur besser verbergen.»
    «Ich sage ihr ständig, dass sie hübsch ist. Possum ist sowieso verrückt nach ihr. Letztes Jahr ist er mit ihr zum Vater-Tochter-Ball gegangen. Gott, sieht mein Mann in seinem himmelblauen Smoking toll aus.»
    Sara lachte, als sie versuchte, sich Possum im Smoking vorzustellen.
    «Jetzt hat sie angefangen, Sport zu treiben», sagte Nell. «Sie spielt Basketball und Softball. Das hilft.»
    Sara nickte. Mädchen, die Sport trieben, hatten mehr Selbstbewusstsein – wissenschaftlich erwiesen. «Wenn ich zurückblicke, danke ich Gott für meine Mutter.» Sara lachte vor sich hin. «Nicht dass ich je ein Wort geglaubt habe, das sie gesagt hat, aber sie hat mir immer eingeredet, ich könnte alles erreichen, was ich will.»
    «Offensichtlich hast du ihr doch geglaubt», stellte Nell fest. «Schließlich bist du nicht nur wegen deinem hübschen Gesicht Ärztin geworden.»
    Sara wurde rot.
    «Egal», fuhr Nell fort und faltete ihr Papiertuch auf und zu. «Julia war eben leicht zu haben. Und sie machte kein Geheimnis draus. Sie dachte, es hätte was zu bedeuten, wennJungs mit ihr mitgingen. Als würde sie das zu was Besonderem machen. Als würden die Jungs sie lieben. Als wäre sie was Besonderes, weil sie ihnen nach der Schule hinter der Turnhalle einen blies. Sie hat sogar damit angegeben.»
    «Ist Jeffrey mit ihr mitgegangen?»
    «Die Wahrheit?», fragte Nell.
    Sara konnte nur nicken.
    «Die Wahrheit ist, ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum er es getan haben sollte. Schließlich hat er es damals regelmäßig von mir bekommen.» Sie lachte leise. «Aber bei Jungs in dem Alter weiß man ja nie. Würde ein Sechzehnjähriger eine Gelegenheit sausen lassen? Teufel, selbst erwachsene Männer können sich nicht zurückhalten. Sex ist eben Sex, und sie tun fast alles dafür.»
    «Hast du ihn je gefragt, was passiert ist?»
    «Den Mumm hatte ich nicht», sagte Nell. «Heute hätte ich kein Problem mehr damit, aber du weißt doch, wie es ist, wenn man jung ist. Du hast Angst, dass er dich dafür hasst, was du sagst, und die nächste Mieze liegt schon auf der Lauer.»
    «Wer war denn die nächste Mieze?»
    «Ich dachte, Jessie, aber im Nachhinein weiß ich, dass

Weitere Kostenlose Bücher