Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
angelangt, da sie sich wieder nach einer eigenen Wohnung sehnte. Sie wollte einen Spiegel, der ihr nicht jeden Morgen die Ereignisse der letzten zwei Jahre ins Gesicht schleuderte. Sie wollte Ethan aus ihrem Leben verbannen. Sie wollte den Backstein in ihrem Magen loswerden. Zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich ihre Periode.
    Wieder klingelte das Telefon. Lena würgte den Anruf ab.
    Nan nahm noch einen Bissen Kuchen und beobachteteLena über den Zuckerguss hinweg. Sie kaute langsam, dann schluckte sie runter. «Wie schade, dass du jetzt Make-up trägst. Du hat so schöne Haut.»
    Wieder klingelte das Telefon, wieder drückte Lena die beiden Tasten. «Danke.»
    «Weißt du», begann Nan und setzte sich an den Küchentisch, «ich habe nichts dagegen, wenn Ethan ab und zu hier übernachtet. Es ist schließlich auch deine Wohnung.»
    Lena versuchte zurückzulächeln. «Du hast Zuckerguss an der Lippe.»
    Nan tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab. Sie hätte sich den Krümel niemals mit der Hand abgewischt oder abgeleckt. Nan Thomas war der einzige Mensch, den Lena kannte, bei dem zu Hause ein Serviettenspender auf dem Tisch stand. Auch Lena war eine reinliche Person und schätzte Ordnung, aber die Art, wie Nan Dinge nicht einfach wegräumen konnte, nervte sie. Für alles hatte sie ein Häkeldeckchen, am besten mit Troddeln oder Teddybären verziert.
    Nan hatte den Kuchen aufgegessen und wischte mit der Serviette die Krümel vom Tisch. Schweigend sah sie Lena an. Wieder klingelte das Telefon.
    «Also», sagte Nan. «Großer Tag heute. Ein neuer Anfang.»
    Lena drückte die beiden Tasten. «Ja.»
    «Glaubst du, sie geben eine Party für dich?»
    Lena lachte schnaubend. Frank und Matt ließen keinen Zweifel daran, dass Lena nicht mehr dazugehörte. Und in letzter Zeit hatte sie immer häufiger überlegt, ob die beiden nicht sogar Recht hatten. Aber heute Morgen, als sie sich das Holster umlegte und die Handschellen am Gürtelbefestigte, hatte Lena das Gefühl, dass ihr Leben endlich wieder in geordnete Bahnen geriet.
    Das Telefon klingelte, Lena drückte die Tasten. Sie versuchte Nans Reaktion zu sehen, doch Nan war damit beschäftigt, das Papier des Napfkuchens zu einem winzigen ordentlich Quadrat zu falten, als hätte sie nichts bemerkt. Falls Nan Thomas sich je entschloss, Cop zu werden, würden die Verbrecher bei ihr Schlange stehen, um ein Geständnis abzulegen. Sollte sie sich dagegen für die kriminelle Laufbahn entscheiden, würde ihr nie jemand auf die Schliche kommen.
    «Jedenfalls», fuhr Nan fort, «gibt es keinen Grund, dass du ausziehst. Ich habe dich gerne hier.»
    Lena betrachtete den einsamen Napfkuchen auf der Küchentheke. Nan hatte zwei gekauft: einen für Lena und einen für Sibyl.
    «Im Doppelpack waren sie billiger», sagte Nan, doch dann gestand sie: «Nein, das war gelogen. Sibyl hat Napfkuchen geliebt. Die einzige Süßigkeit, der sie verfallen war. Ich habe für beide den vollen Preis bezahlt.»
    «Hab ich mir gedacht.»
    «Tut mir Leid.»
    «Du musst dich nicht entschuldigen.»
    «Jaja, ich weiß.» Nan ging zum Mülleimer, der mit grünen und gelben Häschen dekoriert war, passend zu ihrer Schürze. «Ich war trotzdem deinetwegen bei der Bäckerei. Ich wollte mit dir feiern. Nur weil sie tot ist   –»
    «Ich weiß, Nan. Danke. Das ist wirklich lieb von dir.»
    «Da bin ich ja froh.»
    «Gut», sagte Lena und zwang sich, Nans ruhigem Blick standzuhalten. Obwohl sie eine solche Sauberkeitsfanatikerin war, ihre Brille putzte sie nie. Lena sah die Fingerabdrückeaus drei Meter Entfernung. Und doch war ihr eulenhafter Blick hinter den Gläsern durchdringend. Lena biss sich auf die Lippen und kämpfte gegen das Bedürfnis, ein Geständnis abzulegen.
    Nan sagte: «Es ist einfach schwer ohne sie. Das weißt du ja. Du weißt, wie es ist.»
    Lena nickte. Sie versuchte den Kloß im Hals mit Kaffee hinunterzuspülen, doch der Erfolg war, dass sie sich den Gaumen verbrühte.
    «Ich habe dich gerne hier, das ist alles.»
    «Ich bin dir dankbar, dass ich so lange bei dir sein durfte.»
    «Ehrlich, Lee, du kannst so lange bleiben, wie du willst. Mir ist es recht.»
    «Ja», brachte Lena heraus. Sie sah in ihren Kaffee. Was würde Nan zu einem Baby sagen? Lena stöhnte innerlich. Nan würde das Baby wahrscheinlich lieben, ihm Schühchen häkeln und es an Halloween in ein albernes Kostüm stecken. Sie würde nur noch Teilzeit in der Bibliothek arbeiten und dabei helfen, das Kind

Weitere Kostenlose Bücher